Herbst 1989 wurde Falk Hocquél zum DDR-Dissidenten. Er studierte in Hamburg, gehört heute zu Betreibern der Astrastube und Haus 73.

Hamburg. Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für diese Stadt leisten, in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 44: Falk Hocquél. Er bekam den roten Faden von Benjamin Adrion, Gründer von Viva con Agua.

Am 2. Oktober 1989 verhaften sprintstarke Stasi-Männer Falk Hocquél (damals 19) nach einer Montagsdemonstration in der Leipziger Innenstadt und stecken ihn für zwei Wochen als Staatsfeind in Untersuchungshaft. Sie ahnen nicht, dass auch sie damit ihren Beitrag dazu leisten, dass aus dem jungen Mann, der den Gründungsaufruf des "Neuen Forums" in der Hosentasche dabeihat, später eine umtriebige, risikobereite und kommunikationsstarke Unternehmer-Persönlichkeit wird.

Falk Hocquél ist heute einer der Köpfe der Pferdestall Kultur GmbH, einer Firma, die mehrere studentische Trink- und Kulturstätten in Hamburg betreibt. Dazu gehört die Pony-Bar seit 2004, die Astra-Stube unter der Sternbrücke und das Kulturhaus 73 am Schulterblatt. Gemeinsam mit dem Hamburg City Beach Club betreibt man das Good Old Days - Bar und Salon - an der Max-Brauer-Allee, in Hammerbrook als "Festplatz Nord" die ehemalige Großraumdisco Pascha für größere Musikveranstaltungen.

Seit Kurzem unterstützt die Pferdestall Kultur GmbH auch das Lokal - Konsumkulturhaus, ein Netzwerk für junge Designer und Modemacher mit Sitz an der Max-Brauer-Allee, und ist Mitinitiator der Waterkant Kaffeegesellschaft. Demnächst soll die Trinkhalle im Stadtpark eröffnet werden. So viel Unternehmergeist ist ansteckend: In Berlin betreibt man die Gastronomie der Schaubühne, in Leipzig das Campus-Café Wärmehalle Süd.

1500 Veranstaltungen jeder Größe macht man pro Jahr allein in Hamburg, fast völlig ohne Subventionen, 150 Beschäftigte hat die Pferdestall-GmbH, Minijobber mitgezählt. Weitere Expansion nicht ausgeschlossen. "Von der Kaffee-Kultur zur Hippie-Holding" textete folgerichtig ein Magazin.

Dass er es mit seinen derzeit 13 Mitgesellschaftern mal so weit bringen würde, hat Falk Hocquél in der Stasi-Haft kaum vorausgesehen. Die stellt erst einmal seine Familie auf eine Belastungsprobe. Sein Vater ist Kunsthistoriker und Denkmalpfleger und fordert: "Lasst ihn raus!" Seine Mutter war Professorin für Marxismus-Leninismus an der Universität Leipzig. Sie arbeitete später lange für die Hamburgische Landesbank erst in der Repräsentanz in Leipzig, dann in Berlin.

Der Sohn demonstriert, durch die Haft bestärkt, weiter vorne mit, ist bei den Verhandlungen mit der Stasi dabei, als am 4. Dezember aus einer Montagsdemonstration heraus deren Leipziger Hauptquartier, die berüchtigte Runde Ecke, friedlich besetzt wird. Er steht mit anderen auf dem Balkon, als die Menge singt: "So ein Tag, so wunderschön wie heute ..." "Damals konnte man rasch viele Erfolgserlebnisse haben", sagt Hocquél heute. Erfolge, die ihn motivieren und auch in der Folgezeit antreiben. Noch eine zweite Quelle macht er in der DDR-Zeit aus: Er spielt Schach. "Da lernt man, seine Schritte vorauszuberechnen - und die des Gegenübers auch." Er bleibt beim Neuen Forum bis zur ersten und letzten freien Volkskammerwahl im März 1990. Spielt dann Theater. Geht nach Hamburg, wird Kleindarsteller am Schauspielhaus und studiert, erst Philosophie, dann Theaterregie.

Doch wer einmal auf der Bühne stand, hat es schwer, in der zweiten Reihe zu bleiben. Hocquél gründet die Hochschulgruppe der Grünen mit, wird Ökologiereferent im AStA, hilft, das Semesterticket durchzusetzen, das beschert den Grünen anhaltende Wahlerfolge. Zum Ende seiner Zeit in der Hochschulpolitik ist er für zwei Jahre Präsident des Studentenparlaments.

Damals ist er dabei, als Unipräsident Jürgen Lüthje 2001 laut von einem Kulturzentrum am Campus träumt und den Studenten den Innenhof des Gebäudes zeigt, in dem sich heute die Pony-Bar befindet. Die Idee fasziniert Hocquél. Er selbst hat zwar Regieaufträge, aber auch die permanente Frage seiner Eltern im Ohr, was aus ihm mal werden soll. Und beißt sich an dem Kulturzentrum fest. Er trommelt Interessierte zusammen, man gründet mit 70 000 Euro eine GmbH. Man organisiert erste Veranstaltungen, kämpft gegen Kulturbremser wie Uni-Bauabteilung und Lärmschützer. "Plötzlich klemmte die Säge", sagt er. Vom geplanten Kulturzentrum bleibt 2004 - nach einem Machtwort des Uni-Präsidenten - wenigstens die Pony-Bar neben dem Abaton übrig.

Sie trifft einen Zeitgeistnerv, eingerichtet im Drittverwertungsschick des Wohnzimmers einer Studenten-WG, in dem vieles möglich ist: Kunst, Jazz, Pop, Lesungen, gemeinsames "Tatort"-Schauen. Aber das Kulturzentrum ist noch in den Köpfen. Man übernimmt 2005 die Astra-Stube als Musiklocation. Und dann findet Falk Hocquél in einer Kleinanzeige im Hamburger Abendblatt das Angebot, ein Haus am Schulterblatt zu mieten.

Ein ganzes Haus - das ist ein anderer Schnack als eine Bar in Uni-Nähe. Und es wird ein harter Brocken für die GmbH. 500.000 Euro und enormen eigenen Renovierungseinsatz braucht es, bis 2007 das Kulturhaus 73 eröffnet werden kann. Direkt neben der Roten Flora. Auch draußen ein paar Tische, ein Kiosk gleich hinterm Eingang.

Es zeigt im selben Jahr, was geht: mit "Kaltstart". Es ist heute das größte deutschsprachige Nachwuchsfestival mit mehr als 50 Produktionen (in diesem Jahr vom 2. bis zum 14. Juli). Regelmäßig gibt es Musik, Literatur und Tanz, man schaut Fußball und auch hier "Tatort". Das Publikum: jung, hip, studentisch und knapp drüber. Ein Treffpunkt passend zum Lebensgefühl. Ältere Erwachsene, seltene Ausnahmeerscheinungen hier, werden schon mal keck gefragt: "Ey, biste zum Sterben hergekommen?" In der dritten Etage probt das Ensemble Resonanz, das hier auch Lounge-Konzerte veranstaltet. Der Laden brummt.

Falk Hocquél, Träumer und Macher in Tateinheit, sanft in der sächsisch unterfütterten Sprache, aber konsequent die Ziele im Auge, wurde anfangs ein bisschen angefeindet. "Das war meist ein Nachtreten aus der linken Ecke. Mit Wurzeln in meiner Zeit in der Hochschulpolitik, da macht man sich nicht nur Freunde." "Kommerziell" sei er, und das ist als Vorwurf gemeint.

Anfängliche Anwürfe aus der Roten Flora haben sich beruhigt. Er hat das Nebeneinander für sich auf die Formel gebracht: "Ihr macht in erster Linie Politik, und in dem Kontext auch Kultur. Das Haus 73 macht in erster Linie Kultur, und das ist auch politisch."

Er hat ganz andere Sorgen: Wie viele der Unternehmen ähnlicher Bauart beruht auch die Pferdestall Kultur GmbH auf kräftiger Selbstausbeutung, wenn man das Ziel ernst nimmt, dass jeder Mitarbeiter ehrenamtlich auch am Kulturprogramm mitarbeitet.

"Einerseits ist das für viele nur ein Durchlauferhitzer, sie können hier Projekte ohne eigenes Risiko ausprobieren und sogar mitnehmen, wenn sie wollen. Andererseits müssen die Leute auf Dauer toll bezahlt werden." Ein Spagat zwischen alternativem Anspruch und kapitalistischer Realität. "Uns geht es ja nicht um sinnfreie Geldvermehrung. Wir schütten keine Gewinne aus, sondern investieren alles in neue Projekte." Aus dem Erfolg heraus soll das Unternehmen eine neue Richtung mit marktfähigeren Löhnen ansteuern. Falk Hocquél sieht es aber auch anders: "Mir ist Arbeit in einem sinnhaften Zusammenhang wichtig, das ist die große Chance der Kulturstätten. Man verzichtet auf einen gewissen Verdienst. Und hat einen Mehrwert für sich im Leben, der total wichtig ist." Das sei etwas anderes als das verbissene Weltverbessern früherer linker Generationen. Und ist zugleich seine Antwort auf die Frage, ob Lenin wohl jemals glücklich war. "Ich brauch keine Totaloptimierung, in keiner Richtung. Und ich will mir nicht sagen lassen, dass ich mit ein Grund war, warum es dieser Welt schlecht geht."

Er sieht in den Pferdestall-Unternehmen den Keim von etwas Neuem, so wie er auch bei der Trinkwasserinitiative Viva con Agua oder bei der Alternativlimonade Fritz-Kola sprießt. Die Expansion diene, sagt er, dazu, das Geschäftsmodell für die Zukunft zu sichern, vielleicht dafür irgendwann eine Stiftung zu gründen.

Absichern, in die Zukunft denken, dem Leben neben dem Arbeiten mehr Platz einräumen - er probiert es inzwischen selbst. Lebt in einer festen Beziehung. "Zehn Jahre lang wollte ich das nicht, ich wollte niemanden in meine fragile und riskante Situation hineinziehen." Bis eine Freundin fragte: "Haste mal dran gedacht, dass die Frau das auch selbst hätte entscheiden können?" Hatte er nicht. Freundin Katrin hat er in Berlin gefunden, dort ist sie für das Schaubühnen-Café zuständig; in Hamburg geht sie eigene gastronomische Wege. Inzwischen ist Töchterchen Louba eineinhalb Jahre alt, und Hocquél fragt sich manchmal: "Wie findet wohl sie das später alles?"

Auch wenn er inzwischen mal drei Wochen Urlaub am Stück macht - ändern wird er seine Lebensphilosophie nicht. Für ihn heißt das: Nichts anfangen, von dem von vornherein klar ist, dass es funktioniert. Lieber arbeitet er weiter an der Realisierung des scheinbar Unmöglichen. Und zitiert zum Schluss noch einen Aphorismus: "Manche leben so vorsichtig, dass sie wie neu sterben." "Das", sagt er, "trifft auf mich bestimmt nicht zu."

Falk Hocquél reicht den roten Faden weiter an Barbara und Hasko Schmodde von der Rusch-Stiftung, "weil ich ihre unkonventionelle, verlässliche und coole Art, Theater zu fördern, schätze. Und weil sich aus dieser gemeinsamen Theaterleidenschaft eine fast familiäre Freundschaft entwickelte."