Ihren Hass haben Polen und Ukrainer begraben, aber das Regime von Viktor Janukowitsch wirft einen schweren Schatten auf die EM

Früher pflegten die Polen zu sagen, im Sozialismus lebe es sich wie in einem Flugzeug: "Die Aussicht ist großartig, aber man sitzt unbequem und kann nicht raus." Folgerichtig haben die Polen diese Fluglinie 1989 abgeschafft.

Die Ukrainer waren nicht ganz so erfolgreich. Zwar sind sie seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 unabhängig, und die Orange Revolution hat ihnen 2004 demokratischen Auftrieb gegeben, aber die "semipräsidiale Republik", in der sie leben, fühlt sich ungemütlich an. Denn zurzeit heißt der Präsident Viktor Fedorowitsch Janukowitsch. Der wirkt zwar immer ganz gerührt, wenn er die Nationalhymne mitsingt - "Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben!" -, doch die gängigsten republikanischen Gepflogenheiten wie Rede- und Meinungsfreiheit oder Unabhängigkeit der Justiz sind diesem grobschlächtigen Mann völlig fremd.

Schriftsteller werden eingeschüchtert, seine schärfste Rivalin, die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko, hält Janukowitsch in Haft, die Vetternwirtschaft ist enorm, und die Korruption blüht in nie gekanntem Ausmaß. Auf dem entsprechenden Index rangiert die Ukraine mittlerweile zwischen Uganda und dem Kongo. Angesichts der Wildwestmethoden - im Vorfeld der Fußball-EM übernahm ein Verbrechersyndikat mit Waffengewalt mehrere Hotels in den Austragungsorten Kiew und Charkow - ist das allerdings auch kein großes Wunder.

Erstaunlich ist hingegen, dass Polens Premierminister Donald Tusk in diesen Tagen alles versucht, seine westeuropäischen Kollegen dazu zu bewegen, die Spiele in der Ukraine trotzdem zu besuchen. Ein so hoch gehängter Boykott, so Tusks Befürchtung, könnte die Ukraine in die Arme Russlands treiben.

Dabei war die gemeinsame EM eigentlich dazu gedacht gewesen, die Ukraine näher an Europa heranzuführen und ihr letztlich den Weg in die EU zu bahnen. "Gemeinsam Geschichte schreiben" - mit diesem offiziellen Slogan waren Polen und die Ukraine 2007 in das Fußballabenteuer aufgebrochen. Die einst verfeindeten Nachbarn seien "bereit, die Welt zu überraschen", hatte es geheißen. Und: "Wir werden unseren Gästen im Sommer 2012 eine einzigartige Erfahrung liefern." Aber das Wort "einzigartig" wagen inzwischen nicht mal mehr die Fußballprofis in den Mund zu nehmen.

Ein schwerer Schatten hängt über den Großereignis, das am Freitag mit dem Spiel Polen - Griechenland in Warschau eröffnet wird. Und niemand bedauert das mehr als die Polen, die die Unabhängigkeit der Ukraine als Erste anerkannten und die sich 2005 vehement dafür ausgesprochen haben, der Ukraine eine klare Perspektive für eine künftige EU-Mitgliedschaft zu geben. Zum einen, weil es im polnischen Interesse lag, die Stabilitäts- und Wohlstandsgrenze weiter nach Osten zu verschieben. Zum anderen, weil es endlich gelungen war, den jahrhundertealten Hass zu begraben, der im 20. Jahrhundert in gegenseitigen Vertreibungen eskalierte und schließlich in Wolhynien und Ostgalizien zu furchtbaren Massakern an zivilen Angehörigen beider Volksgruppen führte. Im Juli 2003, 60 Jahre danach, hatten die Präsidenten Polens und der Ukraine gemeinsam zur Versöhnung aufgerufen. Denkmäler waren den Zehntausenden von Toten gesetzt, ein Neuanfang beschlossen worden. Nach diesem Kraftakt freute man sich beiderseits der 535 Kilometer langen Grenze auf ein gemeinsames Fest.

Diese Freude ist jetzt getrübt. In der Ukraine heißt es, es gebe zwei Europameisterschaften: die der Oligarchen, die sich daran bereichern, und die der einfachen Leute, die jetzt nur noch hoffen, dass die eigene Mannschaft Ehre einlegt. Was nicht einfach sein wird, denn die Ukraine muss in der Vorrunde gegen Schweden, Frankreich und England antreten. In Polen kann man noch gar nicht fassen, dass man sich ohne eigenes Zutun auf der europäischen Beliebtheitsskala plötzlich viel weiter oben wiederfindet als vor der Empörung um die Causa Timoschenko. Hoffnung auf den Europameistertitel macht man sich natürlich auch. Aber zuerst muss man sich in der Vorrunde gegen Griechen, Russen und Tschechen durchsetzen.