Politik und Wirtschaft setzen auf immer jüngere Führungskräfte. Das sorgt nicht zwangsläufig für frischen Wind

Verkrustete Machtstrukturen, Pattex-Mentalität, Überalterung. Heftige Schlagworte warf die Politikjugend ihren Altvorderen einst an den Kopf. Auch in der Wirtschaft fühlte sich das ehrgeizige Jungvolk blockiert von deutlich älteren Chefs, die einfach nicht weichen wollten. Das war bis vor einigen Jahren so. Heute ist von derlei Verdruss kaum mehr zu hören - der Kritik ist der Nährboden entzogen. In Parteien und Unternehmen hat sich ein Generationswechsel vollzogen.

Sind es in Firmen meist Altersgründe, aus denen ein Geschäftsführer oder Vorstand seinen Posten abgibt, verdanken junge Vorturner in der Politik ihren Karrieresprung oft innerparteilichem oder öffentlichem Druck. Bei CDU und SPD ist die Personal-Verjüngung ein schleichender Prozess. Kristina Schröder, die mit 32 Jahren Familienministerin wurde, wirkt da fast wie ein Versehen. Bei der FDP hingegen war plötzlich kaum noch einer der tonangebenden Funktionäre älter als Mitte 30. Eine Frischzellenkur, die man eher von den Grünen erwartet hätte - dort allerdings greifen mit Trittin, Roth und Künast weiter die Routiniers nach Spitzenämtern. Mit der Piratenpartei haben sie nun lästige Konkurrenz bekommen, die von Teens und Twens geführt wird. Die selbst ernannten Freibeuter des Internets demonstrieren Ahnungslosigkeit, ziehen aber gerade wegen ihres unorthodoxen Auftretens viel grünes Klientel zu sich. Unangepasst - das wirkt jung und sympathisch.

Verjüngung führe raus aus ausgetretenen Pfaden, argumentierten Kritiker vergreisender Führungszirkel früher. Erfüllt diesen Anspruch die Generation, die das Ruder übernommen hat oder sich aufmacht, es alsbald zu tun? Die Frage pauschal mit "Ja" zu beantworten, wäre Humbug. Gerade in der Politik erweist sich ein Großteil sogenannter junger Wilder als weitaus weniger jung und wild als angenommen. Akzeptanzprobleme im harten Regierungs- und auch Oppositionsgeschäft haben vor allem diejenigen, die es auf Teufel komm heraus zu vermeiden versuchen, sich altersgerecht zu geben. Statt ehrlich als lernwillige, aber kraftvolle Jungspunde aufzutreten, tun sie so, als seien sie alte Hasen. Das sind sie nicht, und deshalb reagieren die Wähler mit Misstrauen. Ein Beispiel ist der gescheitere Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus. Als den "ältesten 40-Jährigen Hamburgs" beschrieb ihn das Abendblatt. Die etwas böse, aber ehrliche Stilkritik brachte den größten Makel auf den Punkt: Ahlhaus benahm sich wie ein Mittfünfziger, gönnte sich keine Authentizität - weder äußerlich noch inhaltlich. Im Vergleich erschien der tatsächliche Mittfünfziger Ole von Beust wie ein Lausbub.

Auch Vizekanzler Philipp Rösler hat ein Altersproblem. Er kokettiert gern mit seiner Jungenhaftigkeit. Seine politische Agenda hingegen wirkt behäbig. Von jugendlichem Mut, Neues auszuprobieren, keine Spur. Mangels überzeugendem Inhalt erweckt Röslers mitunter etwas kasperhaftes Auftreten Zweifel daran, dass er seinem Amt gewachsen ist. Dem FDP-Chef fehlt die Reife. Ähnlich verhält es sich mit Gesundheitsminister Daniel Bahr und Kristina Schröder. Eigene, bemerkenswerte Akzente? Nicht wahrnehmbar.

Anders wirkte Karl-Theodor zu Guttenberg. Ihm hätten viele Wähler die Kanzlerschaft zugetraut. Nicht älter als Rösler und Ahlhaus, aber versehen mit einem Händchen für die richtige Mischung aus dynamischer Jugendlichkeit und geschickter thematischer Akzentuierung. Im Umgang mit seinem entlarvten Plagiarismus ließ ihn dieses Gespür allerdings komplett im Stich.

Was für die Politik gilt, stimmt auch in der Wirtschaft: Wer jung Verantwortung bekommt, steht damit nicht per se für einen überzeugenden Neubeginn. Direkt aus der Uni in eine Chefposition zu stolpern, überfordert viele. Wer führt, will keine Fehler machen. Wer jung ist, macht aber mehr Fehler als erfahrene Kollegen. Sich und anderen dies einzugestehen, fällt den meisten schwer. Dabei resultiert Erfahrung gerade aus Fehlgriffen. Und allein Erfahrung setzt sich durch. Deutschland diskutiert die Quote für Frauen. So wichtig wie eine Balance zwischen Männern und Frauen in Führung ist die Balance zwischen den Generationen. Vielleicht brauchen wir eine Generationen-Quote, um zu alte, aber auch zu junge Chefetagen zu verhindern.