Für Hamburg kommt die Schulreform zu schnell. Es wäre besser, die Entwicklung in den naturwissenschaftlichen Fächern abzuwarten

Hamburg schickt sich an, neben den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch von 2014 an auch die sogenannten Nebenfächer zentralen Abiturprüfungen zu unterwerfen. Im Reigen der Reformen ist das eine weitere Reaktion auf das nicht eben schmeichelhafte Abschneiden Hamburgs im nationalen Bildungsvergleich.

So bescheinigt uns das Institut für die Deutsche Wirtschaft in jedem Herbst aufs Neue, Hamburg liege im Vergleich der MINT-Förderung - also der Förderung der auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragten Qualifikationen in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik - auf Platz 16 von 16 möglichen. Ist das Zentralabitur dazu geeignet, diesen Missstand aufzuheben? Die Antwort lautet: leider nein!

Warum? Ein zentrales Manko in den MINT-Fächern ist die fehlende Anschaulichkeit. Schüler wissen oft nicht, wozu das zu Lernende eigentlich gut sein soll. Das gilt nicht selten auch für ihre Lehrer. Denn auch ihnen fehlt im Schulalltag der Bezug zur praktischen Anwendung in Industrie und Forschung. Die 2009 in Hamburg eingeführte Profiloberstufe verspricht hier Abhilfe: Die Fächer sollen themenorientiert, fachübergreifend und wo möglich in Kooperation mit außerschulischen Partnern unterrichtet werden. Initiativen wie Naturwissenschaften und Technik (NaT), ein Netzwerk von über 30 Hamburger Schulen, mehr als 40 Unternehmen und fünf Hamburger Hochschulen, tragen engagiert dazu bei, den Schulunterricht anschaulich und anwendungsorientiert zu gestalten. Und erste Erfolge sind sichtbar. Eine jüngste Umfrage ergab, dass die beteiligten Schüler die Kooperationen mit überwältigender Mehrheit als wertvoll einschätzen und, noch besser, dass der Anteil derjenigen endlich wieder ansteigt, die sich vorstellen können, ein Studium der entsprechenden Fächer aufzunehmen. Wer jetzt die zentrale Überprüfbarkeit in den Mittelpunkt stellt, gefährdet das mühsam Erreichte. Denn detailliert vorgegebene und zentral zu überprüfende Aufgaben stehen im Widerspruch zu einem Unterricht, der auf fachübergreifendes, themenorientiertes und interessegeleitetes Lernen in Projekten setzt.

Unabhängig davon, ob das Zentralabitur aus Gründen einer vermeintlich höheren Bildungsgerechtigkeit und einer besseren Qualitätssicherung sinnvoll sein mag, reibt man sich verwundert die Augen. Waren sich nicht gerade alle Parteien einig, dass nach den bildungspolitischen Aufregungen der letzten Jahre jetzt erst einmal Abregung angesagt sei, also Ruhe ins reformüberhitzte Bildungssystem einkehren müsse? Dabei meint Ruhe nicht Grabesstille, sondern besonnene und gründliche Umsetzung bislang noch nicht zu Ende entwickelter Reformen.

Schule wird die konkurrierenden Anforderungen von gemeinsamen Standards mit gerechten Prüfungen und einem individuellen, auf die Schüler zugeschnittenen Unterricht immer in sinnvolle Balance bringen müssen. Aber den Wegweiser jetzt schon wieder in die entgegengesetzte Richtung zu drehen, noch bevor man um Erfolg oder Misserfolg des gerade eingeschlagenen Weges weiß, führt zu einem nicht nachvollziehbaren Zickzackkurs. Dann kann man es Lehrern kaum verübeln, wenn sie, von zu vielen Kurswechseln zermürbt, schlicht ihren eigenen Weg verfolgen.

Zu befürchten ist, dass am Ende die Nachteile beider Varianten verbunden werden: nämlich starke Fachorientierung, ohne wie früher die eigenständigen Fächer mit höherer Stundenzahl dafür zu haben einerseits, und fächerübergreifendes und projektorientiertes Lernen, ohne echte Freiräume und Zeit dafür zu haben andererseits.

Die Sinnhaftigkeit naturwissenschaftlich-technischer Fächer erschließt sich nicht im Auswendiglernen der Hebelgesetze, sondern in der Erfahrung ihrer praktischen Anwendungen und der Einbettung in gesellschaftliche Zusammenhänge. Wer das mit Blick auf die durch die Profile erreichten Erfolge nicht versteht, wird auch daran scheitern, den dringend benötigten Nachwuchs für die MINT-Fächer zu gewinnen.