Nirgendwo sonst wird die “Queen Mary 2“ so herzlich empfangen wie hier. Der damalige Abendblatt-Chefredakteur erinnert sich, wie alles begann ...

Hamburg. Am Anfang war der Zufall. Die britische Reederei Cunard schickte die "Queen Mary 2" die Elbe hinauf. Vielleicht nur, weil ihre Bosse etwas Neues ausprobieren wollten. Niemand ahnte, was sich daraus entwickeln würde. Am Anfang hatte Hamburg einfach nur Dusel.

Ein Sonnabendmorgen im Sommer 2004. Neun Uhr, früh fürs Telefon. Der Abendblatt-Chefredakteur richtete sich auf und langte nach dem Hörer. Carlo Blumenberg war am Apparat. Einen Termin in der Redaktion wollte er. Für einen guten Bekannten. Gleich am Montag. Es sei eilig.

Anrufer und Angerufener kannten sich seit ihrem Zeitungsvolontariat. Der Anrufer hatte in jungen Jahren bei Leinemann gesungen, gab seine Stimme ("Es macht immer plopp-plopp ...") für den Werbesong vom "Flens", war Chefredakteur von Frauenzeitschriften und hatte mit seinem Medienbüro Hamburgs Olympia-Bewerbung unterstützt. Er bekam den eiligen Termin für seinen Bekannten. Der hieß Axel Gernert und saß wie gewünscht am Montag auf der schwarzen Ledercouch im Chefredakteurszimmer. Einen Namen hatte er sich gemacht, als er das Hamburger Footballteam Blue Devils zu allerdings vorübergehendem Ruhm brachte. Jetzt arbeitete er für eine Firma, die Großveranstaltungen betreute. "In vier Wochen ist die ,Queen Mary 2' im Hamburger Hafen. Weder ist das Kreuzfahrtterminal fertig noch die HafenCity. Wenn sich Hamburg nicht was einfallen lässt, kommt das Schiff nie wieder", sagte er. Ob denn auch das Abendblatt glaube, dass der Besuch des größten Passagierschiffs der Welt eine interessante Geschichte sei?

+++ Die nächsten Besuche +++

+++ Queen Mary 2: Ein Empfang wie für eine Königin +++

+++ Das Zeitungsschiff wird zum Fotomotiv in der HafenCity +++

Erinnerung färbt rosarot, Selbsterlebtes macht sich besonders wichtig. Kein Wunder also, dass der Gedanke auftaucht, die schwarze Ledercouch wäre der Ort, an dem die geradezu leidenschaftliche Beziehung zwischen einem englischen Schiff, den Hamburgern und vielen anderen Deutschen begann. Doch die Wirklichkeit ist vielschichtig: Das Schiff kam im Frühnebel des 19. Juni die Elbe hoch. Der TV-Sender Hamburg 1 filmte vom Dach des damaligen HEW-Kraftwerks in der HafenCity und blieb 26 Stunden auf Sendung, "Queen-Mary-Tag" nannten sie das. Möglicherweise waren die Hamburg-1-Chefs Michael Schmidt und der viel zu früh verstorbene Bernhard Bertram diejenigen, die sich als Erste entschlossen auf das Thema stürzten. Aber sie waren nicht allein. Der NDR machte Programm am unfertigen Kreuzfahrtterminal und hatte die Landesfunkhauschefin vor Ort. "Bild" berichtete von einem 42 Jahre alten Heizungsbauer aus Glinde, der angetrunken in den Hafen sprang, und zitierte ihn: "Andere besteigen den Everest, ich wollte eben die ,Queen Mary' berühren". In den 24 Stunden zwischen dem Morgen des 19. und 20. Juni sollen 300 000 Menschen die "QM2" angesehen haben. Die Hotels bejubelten "20 000 Übernachtungen mehr", der Einzelhandel der City meldete einen Umsatzsprung. Nur zwei Monate später erschien ein Buch über das Schiff mit einem Extrakapitel über seinen Hamburg-Besuch.

Das war mehr als eine Mediengeschichte. Da hatte etwas gezündet. Da war ein Thema, das zum Charakter der Stadt passte. Irgendetwas war daran, das Menschen selbst aus Süddeutschland nach Hamburg lockte. Ein Glücksfall. Könnte sich so etwas wiederholen?

Drei Wochen lang nervte die Deutschland-Chefin von Cunard ihre Zentrale: "Streicht einen anderen Hafen, lasst Hamburg drin." Cunard hatte noch nie erlebt, dass irgendwo auf der Welt Hunderttausende auf die Beine kamen, um eines ihrer Schiffe zu feiern. Obwohl die Kataloge für 2005 schon gedruckt waren, mit einer Route ohne Hamburg-Besuch, entschied die Reederei, die Stadt doch wieder anzulaufen. "Und wen interessiert das noch beim zweiten Mal?", glaubten Kritiker hier und dort. Axel Gernert war wieder unterwegs. Er ging zum NDR und fragte "Berichten Sie weiter?" Er war bei den Zeitungen der Stadt, bei Institutionen, stellte die gleiche Frage und argumentierte: "Wenn 300 000 beim ersten Mal dabei waren, sind immer noch anderthalb Millionen Hamburger übrig, und für die wäre es das erste Mal."

Die Hamburg-Marketing-Gesellschaft, eine vom Senat gegründete Unternehmung, die für Hamburgs Attraktivität werben sollte, hatte ein Kontingent von 2000 Plakatstellen bundesweit. Ihr Geschäftsführer Hariolf Wenzler erkannte die Bedeutung des "QM2"-Besuchs und gab die Plakate frei. Eine internationale Uhrenmarke beteiligte sich mit Werbung an einem "QM2-Magazin". Eine große Biermarke plante Veranstaltungen mit Boris Becker und Til Schweiger. Das Abendblatt lud Leser zur Nacht der Nächte auf Barkassen ein, die der "Queen Mary 2" entgegenfuhren. "Bild" und Abendblatt zählten im Jahr 2005 wochenlang die Tage herunter, die noch übrig blieben, bis die "Gigantin" wieder im Hafen war. Die "Welt" zeigte ",Mary' aufgeklappt". Sonderseiten in "Bild". Serie von Chefreporter Günter Stiller im Abendblatt, die besten Plätze "zum ,Mary'-Gucken". Es war Schiffsfieber, falls es das gibt.

Am Kreuzfahrtterminal legte die Wiedererschienene mit dem Bug flussaufwärts an. Mittags warf die "Queen" die Leinen los, drehte im Fluss, bis der Bug seewärts zeigte, machte dann wieder fest. Bei dem Manöver kam es auf ein paar Meter an. Das Schiff (72 m hoch, 41 m breit) ist 345 Meter lang, die Elbe an dieser Stelle wenig breiter. Hunderttausende sahen dem nautischen Meisterstück zu, das ohne Schlepperhilfe stattfand. An jenem Tag gaben insgesamt eine halbe Million Menschen der "Queen" einen größeren Empfang und Abschied als je einem Staatsgast. Als Gernert den Kapitän der "QM2" zum Redaktionsbesuch beim Abendblatt bringen wollte, kamen sie erst mit einem Polizisten, der den Weg frei machte, durch die dichte Menge. Commodore Bernard Warner blieb immer wieder stehen, schrieb Autogramme. "Axel", sagte er zu seinem Begleiter, "I feel like a popstar." Beim Auslaufen wurden auf sieben zwischen HafenCity und Finkenwerder gelegenen Plätzen Raketen gezündet. Elf Flusskilometer lang begleitete Feuerwerk die "Queen".

Das Schiffsfieber übersprang die Grenzen der Stadt und Norddeutschlands. Die Fernsehberichterstattung des NDR lief bundesweit auf bestem Sendeplatz und machte Quote. Um 20.15 Uhr sahen 2,06 Millionen Menschen (7,8 Prozent) die Tageszusammenfassung. Noch um Mitternacht verfolgten 810 000 Fernsehzuschauer das Auslaufen. Am Folgetag schnellten die Kioskverkäufe des Hamburger Abendblatts um mehrere Tausend Exemplare hoch. Die Berichterstattung von Zeitungen und Magazinen fand deutschlandweit einen Absatz von 175 Millionen Exemplaren. "Spiegel TV" drehte ein "Spezial" für Sat.1, setzte dabei zehn Kameras ein. Der "Stern" zeigte die "Queen" als doppelseitiges "Bild der Woche" mit der Schlagzeile "Mary Mania an der Elbe".

Gaga wegen eines Schiffs? Welcher Reiz lässt Menschen Zeit und Geld investieren, um etwas zu sehen, von dem man nur Erinnerung mitnehmen kann? Spielt es eine Rolle, dass an der Elbe in beinahe jeder Familie jemand in irgendeiner Form mit Meer, Hafen, Schifffahrt zu tun hat? Liegt es daran, dass eine Meeresgigantin nur an wenigen Stellen dieser Welt so tief in das Herz einer Stadt fahren kann wie in Hamburg, wo der Hafen die City berührt? Bringen Dampfer, die an die Zeiten des Kampfes um das "Blaue Band" erinnern, eine Aura mit, die Deutsche auf besondere Art berührt? Warum ist es ein englisches Schiff, das Hunderttausende bewegt? Oder ist es Sehnsucht nach dem Einmaligen und der Weite der Welt, der man hier gefahrlos nahe kommt?

Längst hatte das Ereignis grundsätzliche Bedeutung für die Hansestadt gewonnen. Vor der "QM2" besaß der Passagierstandort Hamburg nur die England-Fähre, ab und an verirrte sich ein "Musikdampfer" an die Elbe. Reeder glaubten, die lange Fahrt flussauf sei teuer und langweilig. Aber mit den Zigtausend Begeisterten, die bei den Besuchen der "Queen" die Ufer des Flusses säumten, wurde die stundenlange Anfahrt sprichwörtlich zu einer Woge der Begeisterung.

Beim ersten Anlauf 2004 ging es um Neugier. 2005 war es fast hysterische Begeisterung. 2006 begann eine Art Tradition. Mitte 2007 kam noch einmal die schwarze Ledercouch in der Chefredaktion des Abendblatts ins Spiel. Diesmal saßen Gernert und Carlo Blumenberg darauf. Letzterer hatte die Idee der Cruise Days mitgebracht - die Idee von einem "Treffen der Traumschiffe" im Hafen. Damit hatte er eine neue Stufe gezündet: "Astor", "Columbus", "Deutschland", "QM2" und der Großsegler "Sedov" waren da. Die Cruise Days bewiesen, dass der Hafen nicht für ein besonderes Schiff attraktiv war, sondern für viele Reedereien und die unterschiedlichsten Kreuzfahrtgäste. Es kam zu einer Premiere in der Premiere: Lichtkünstler Michael Batz hüllte vom Hochbahn-Viadukt am Baumwall über das Maritime Museum, zu Blohm + Voss und Elbphilharmonie, die Köhlbrandbrücke und den Michel in blaues Licht. 90 Minuten lang berichtete N3 live von der Schiffsparade und dem Hafen, der in Blau getaucht selbst zum Spektakel wurde. Das waren Bilder, die die "Europäische Rundfunkunion" weltweit absetzte, bis nach Uruguay. Der Hafen als Erlebniswelt. Hamburg hatte das Marketingprofil gefunden, nach dem die Stadt gesucht hatte.

Als die "QM2" 2009 am Hotel Louis C. Jacob vorbeifuhr, schallte von der Lindenterrasse "New York, New York" und "In Hamburg sagt man Tschüss". "QM2" in Hamburg - ein Ritual?

Vor der "Queen Mary 2" hatte Hamburg nur ein provisorisches Kreuzfahrtterminal, inzwischen existiert in Altona ein weiteres. Über einen dritten Standort wird nachgedacht. In diesem Jahr werden 160 Passagierschiff-Anläufe erwartet. Hamburg ist zur Kreuzfahrtmetropole geworden.

Alle Aktionen

Jeden Monat belebt das Abendblatt in diesem Jahr eine der erfolgreichen Aktionen aus seiner Geschichte Leser neu:

Februar: Die Hochzeitskutsche

März: Der Frühlingsgruß

April: Das Lieblingsmenü

Mai: Das Abendblatt-Schiff

Juni: Herr Lombard lebt

Juli: Das Sommerrätsel

August: Bürgermeister-Barkasse

September: Wer will mich haben?

Oktober: Sparen und genießen

November: Lieblingsstücke

Dezember: Märchen im Michel

Der Autor: Menso Heyl war von 2001 bis 2008 Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. Als Herausgeber der Zeitschrift "Yacht" hält er im August einen Vortrag auf der "Queen Mary 2" über die Liebe der Hamburger zur "QM2".