Frank Otto hätte im Versandhaus Karriere machen können. Er wurde Medienunternehmer und sein Anderssein wurde zum Erfolgsrezept.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für diese Stadt leisten, in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 41: Frank Otto, Medienunternehmer. Er bekam den roten Faden von Tee-Unternehmerin Esin Rager.

Sein Makel wurde zum Markenzeichen. Sein Anderssein zum Erfolgsrezept. Frank Otto schmückten jahrelang viele Beinamen wie schwarzes Schaf oder Rebell. Enfant terrible war in der Liste der gängigste.

Heute scheint es so, als habe sich der Medienunternehmer mit seiner Rolle ausgesöhnt. Und nicht nur er, auch sein teilweise zutiefst hanseatisch-traditionelles Umfeld schätzt das Selbstverständnis Ottos. Dass dies nicht immer schon so sein konnte, gab seine Herkunft vor: Frank Otto ist Mitglied der Otto-Dynastie, sein Vater Werner Otto war der Gründer des gleichnamigen Hamburger Versandhauses, das zum Imperium heranwuchs.

Frank Otto, geboren 1957, stammt aus der zweiten Ehe des Vaters. Sie scheitert nach sieben Jahren. Die neue Frau an der Seite des Vaters und der sechsjährige Junge finden nicht zueinander. Dazu kommt, dass Otto schon früh zu erkennen gibt, sich nicht anpassen zu wollen. Im Gegensatz zu seinem älteren Halbbruder Michael, der heute Aufsichtsratsvorsitzender der Otto Group ist. Die Natur schaffe keine Kopien, aus gutem Grund nicht, sagt Frank Otto und fragt: Wo bliebe sonst die Veränderung, das Vorankommen der Gesellschaft?

"Die Familie, aus der ich stamme, hatte oft repräsentative Verpflichtungen, die ich nicht verstanden habe", sagt Otto, "man musste einem Bild entsprechen, das vorgegeben war. Je vornehmer, desto steifer." Doch er will alles andere als vornehm sein, will lieber mit den "Schmuddelkindern" spielen. "Ich bin in Hochkamp aufgewachsen, das ist ein Villenviertel in den Elbvororten, das an drei Arbeiterstadtteile angrenzt", sagt er, "die Kinder von dort waren für mich ebenso interessant wie die anderen. Sie hatten spannende Spiele und Ideen."

Frank Ottos Drang, mehr zu erleben als den heimischen Garten, bringt die Kindermädchen an den Rand des Wahnsinns, er habe einige "verschlissen". Und gebetsmühlenartig bekommt er "spiel nicht mit den Schmuddelkindern!" zu hören. Erst viel später erfährt der feingeistige Junge, dass dieser Satz aus der Feder des Liedermachers Franz Josef Degenhardt stammt, und versteht die Bedeutung der Zeile, die die Spießigkeit der deutschen Nachkriegsjahre anprangert. Im Alter von zehn Jahren wird er aufs Internat geschickt; das heutige Louisenlund zwischen Schleswig und Eckernförde ist die erste von mehreren Stationen. Für den freiheitsliebenden Jungen eine harte Entscheidung, hier soll er abgeschottet von äußeren Einflüssen, von gesellschaftlichen Strömungen, leben und lernen. "Das Internatsleben ist in sich geschlossen. Das Einzige, was wir hatten und heimlich gehört haben, war die neueste Musik." Schon in diesem Alter merkt Otto, dass außerhalb der Internatsmauern etwas geschieht - durch die Musik, meint er zu wissen, dass draußen "Leute sind, die mich verstehen".

Auf einer Sprachreise nach England findet der 13-Jährige Gewissheit, als er die unterschiedlichen Milieus der 70er-Jahre kennenlernt: Hippies, Skins, Hare-Krishna-Anhänger. "Da hat es bei mir klick gemacht. Ich habe gemerkt, dass in der Welt gerade etwas passiert, das mich etwas angeht." Das persönliche Zeichen dafür ist, dass Otto sich die Haare lang wachsen lässt. "Im Internat dachten die natürlich 'Ach du Scheiße, der trägt das jetzt zu uns herein'", sagt Otto. Dabei sei es auf den Straßen nicht zu übersehen gewesen. Überall Flower-Power, Stundentenbewegung und Schlaghosen.

Kurz darauf verlässt Otto die Schule, bespricht sich aber mit seinem Vater. "Mein Grund war, dass ich den neusprachlichen Weg gehen und nicht die alten Sprachen wie Griechisch oder Latein weiterlernen wollte. In Latein musste ich sowieso schon immer um eine Fünf kämpfen. Da ging es nur um römische Kriege, und in Vietnam wurde damals tatsächlich gekämpft. Das wollte ich nicht!", sagt Otto vehement. Für ein Jahr kommt er auf das freiere Nordsee-Internat, wo Mädchen und Jungen schon gemeinsam unterrichtet werden. Doch auch hier wird er nicht sesshaft. "Das war nicht so eine Papa-hat-Geld-Schule, da gingen auch Externe aus ganz normalen Familien hin", sagt er. Die liberale Atmosphäre hat er genutzt. Ein Drittel der "Che-Guevara-Geschichten" über ihn seien wahr gewesen, der Rest angedichtet.

Also geht es zurück nach Louisenlund, wo mittlerweile auch Mädchen zugelassen sind. Fatal. Deshalb ist nach drei Monaten auch hier wieder Schluss, ein Lehrer sieht, wie er nachts mit einer Freundin im Park spazieren geht. Platonische Liebe hin oder her, es war natürlich gegen die Regeln.

In einem bayerischen Internat bleibt Frank Otto, bis er 17 Jahre alt ist und ihm eine Drogengeschichte angehängt wird, wie er erzählt. "Ich war damals Klassensprecher, war ruhiger geworden, weil ich einen kleinen Materialraum zum Malen für mich allein bekommen hatte und mich in der Kunst endlich ausdrücken konnte", sagt Otto. Auch eine Form von Protest, jedoch eine stille.

"Eines Tages wurde ich dann aus dem Physikunterricht zur Internatsleitung bestellt, die mir was von Polizei und Drogen erzählten." Eine "ausgedachte Geschichte der Schulleitung", die hoffte, dass er auspacken würde und in ein Wespennest gestochen habe. Dazu kommt, dass ihn eine Mitschülerin verpetzt, um ihre eigene Haut zu retten: Sie erzählt von Ottos verbotenem, nächtlichen Einstieg in die Mädchenstation. Sein Rauswurf aus dem Internat ist besiegelt.

Der Vater jedoch reagiert gelassen. Was auch den Sohn manchmal verwundert. "Ich habe nie eins von ihm auf den Deckel bekommen, er war eher der Meinung, dass die Pädagogen versagt hätten, wenn sie nicht mit seinem Sohn klarkämen."

Frank Otto liebt seinen Vater, auch wenn er den umtriebigen Geschäftsmann selten sieht. Doch über die Zukunft des Sohnes sprechen sie miteinander. Für sein Alter sei er ein moderner Vater gewesen, der zuhört. Und schließlich sogar der Restauratorenlehre als Grundlage und dem anschließenden Kunststudium in Kiel zustimmt, "als er meine Bilder gesehen hat", sagt Frank Otto und klingt ein wenig stolz. Er malt gegenständlich, schafft fotorealistische Arbeiten und probiert sich in der Bildhauerei aus.

Heute sieht er die Parallele zur Biografie Werner Ottos, der in seinen jungen Jahren auch einen künstlerischen Beruf ergreifen und Schriftsteller werden wollte. Und so ähneln sich Vater und Sohn. Es beruhigt vielleicht beide Seiten ein wenig.

Der väterliche Konzern reizt Frank Otto nicht. "Als ich in das Unternehmen hineingeschnuppert habe, war mein Vater noch sehr spürbar, und alle haben, sobald sie wussten, wer ich war, etwas in mich hineinprojiziert." Außerdem, es hätte eine "Dallas-Nummer" werden können, Bruder Michael und er gleichzeitig, das hätte nicht funktionieren können.

Frank Otto findet seine unternehmerische Erfüllung nach wilden Jahren in Wohngemeinschaften, als Schlagzeuger der Band City Nord und prügelnd bei einer Anti-Atomkraft-Demo in Brokdorf schließlich in der Medienwelt.

In Absprache mit dem Vater, der mittlerweile akzeptiert hat, dass der Sohn nie in hanseatischen Klubs, dafür aber auf der Straße diskutieren wird, erwirbt er von einem Teil seines Erbes, über das er mit 30 Jahren verfügen kann, den Privatsender OK Radio. Er wird damit zum Pionier der Radio- und Fernsehlandschaft in Deutschland. Es folgt die Beteiligung am TV-Musiksender Viva, die Mitgründung des Senders Hamburg 1, dazu später die Übernahme der "Hamburger Morgenpost". Und plötzlich wird Frank Otto als Medienunternehmer wahrgenommen. Als jemand, der trotz und wegen seines Beinamens "Versandhauserbe" eine eigene Karriere hinlegt.

Mit seiner damaligen Frau, der NDR-Moderatorin Sandra Maahn, hat er zwei Kinder, die heute 16 und 20 Jahre alt sind. Dazu kommt seine etwas ältere Ziehtochter und die zwei weiteren Kinder, die er mit seiner heutigen Ehefrau Stefanie, einer Schmuckdesignerin, hat.

Aktuell hält Otto viele Beteiligungen, beispielsweise am OK-Radio-Nachfolger Oldie 95 sowie Delta Radio und Energy Sachsen. Ihm gehört der Sender 98.8 Kiss FM in Berlin, und er führt das Plattenlabel Ferryhouse von der HafenCity aus, engagiert sich für Nachhaltigkeit.

Er ist ein gemachter Mann. Aber er hat es auf seine Weise gemacht. "Ich schäme mich für nichts. Auch wenn nicht immer alles erfolgreich ist, bei mir steckten immer ein Konzept und ein Gedanke dahinter. Das allein ist wichtig für mich." Zu seinen vier Geschwistern, den beiden Schwestern Ingvild und Katharina sowie den Brüdern Michael und Alexander, habe er eine gute Beziehung. Also keine intriganten "Dallas"-Verhältnisse? "Nein." Dennoch, wie in jedem Lebenslauf, hinterließ auch Ottos durchkämpfte Jugend ihre Spuren.

Neben den halb langen Haare und dem Unwillen, täglich einen abgestimmten Zweiteiler zu tragen, blieben Internatsnachwirkungen: Otto kennt keine Privatsphäre. Was sich komisch, fast wie eine Lappalie anhört, wurde zum Problem: Er wusste schlicht nicht, was das ist. Wie es sich anfühlt, einmal nicht unter Menschen zu sein. Nicht 20 Leute im Haus zu haben.

"Als Internatskind hatte ich nie Privatheit kennengelernt, da ist man ja keine Minute allein", sagt er. Erst seine Frau Stefanie lehrte ihn das und zeigte Grenzen auf. Dass man manchmal allein sein muss, Zweisamkeit, Familienleben, Privatsein spüren muss. Endlich mal keine Rolle spielen.

Denn auch der größte Rebell braucht mal seine Ruhe.

Frank Otto reicht den roten Faden kommenden Sonnabend an Ex-St.-Pauli-Spieler Benjamin Adrion weiter. Otto schätzt den 31 Jahre alten Initiator der Trinkwasserinitiative Viva con Agua de Sankt Pauli sehr: "Mit Viva con Agua hat Benjamin sich für ein Leben jenseits des Wohlstands entschieden, da steckt so viel dahinter. Eigentlich ein ganzes Leben."