Ob Fußball oder Volksfest: In unserer Eventgesellschaft regiert Schwarm-Unintelligenz

Wenn 500 Menschen, von einem Pfiff irregeleitet, in blinder Feierlaune auf ein Fußballfeld strömen, mitten in einem Bengalo-Sperrfeuer, wenn sie auf dem Feld Rasenstücke herausreißen - unter anderem den Elfmeterpunkt - und dabei noch ihre Kinder mitnehmen, dann hat das noch nichts mit Hooligans oder Ultras zu tun, aber mit unfassbarer Dämlichkeit und einer schon krassen Naivität.

Das Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC ist ein Beispiel für Schwarm-Unintelligenz, eines von vielen. Den Menschen, die vorzeitig aufs Spielfeld liefen, fehlte offenkundig jedes Gefühl, jedeIntuition dafür, wie gefährlich so ein spontaner Massen-Schub ist. Ihnen fehlte wohl jede geistige Eingebung, dass Freude über den Aufstieg ihres Vereins noch nicht die Demolierung des Spielfelds rechtfertigt.

Ist das die Kehrseite der Eventgesellschaft? Frei nach dem Motto:Ich habe Geld für mein Ticket bezahlt, also darf ich austicken und jedes sonst im sozialen Miteinander geltende Verhalten fallen lassen. Heißt Event, dass alle Anforderungen an die Reife erwachsener Menschen aufgegeben werden?

Es nützt nichts, zu sagen: Aber die wollten doch nur feiern! Das massenhafte Feiernwollen hat leider eine zweite Seite: die mögliche Eskalation, ungewollt und aus der Emotion geboren, aber unberechenbar. Emotion, ohne die der Fußball nicht existieren kann, ist keine Entschuldigung für Verantwortungslosigkeit.

Das gilt nicht nur für den Fußball. Es hat Jahre gedauert, bis ins kollektive Bewusstsein einging, dass man auf großen Rockfestivals tunlichst nicht in den ersten Reihen an der Bühne stehen sollte, wenn dort keine Barrieren den Druck der Hintenstehenden aufhalten. Es gab Unfälle, Teilnehmer wurden erdrückt - völlig ungeplant und ohne jede Feindseligkeit, einfach durch das Phänomen Masse.

Würden regelmäßig die Bühnen unter Bengalo-Beschuss genommen und vor Konzertende gestürmt, würde es sehr schnell keine Festivals mehr geben. Kein Veranstalter würde die Sicherheitskosten aufbringen wollen - und die Stimmung wäre ohnehin im Eimer. Bei großen Volksaufläufen wie dem Schlagermove oder dem Hafengeburtstag gibt es immense Sicherheitsvorkehrungen mit Straßensperrungen und Polizeistreifen. Würde es beim Hafengeburtstag so zugehen wie beim Silvesterfeuerwerk an den Landungsbrücken, würde ein großer Teil der Besucher wegbleiben und den Hardcore-Facklern das Feld überlassen. Kollektives Feiern funktioniert nur mit umsichtigem Feierverhalten.

Dazu gehört auch, dass Besucher auf der Straße keine Dinge tun, die man sonst zu Hause an einem stillen Ort verrichtet; selbst diese eigentlich selbstverständliche Einsicht hat sich bei vielen Wochenend-, Schlagermove- oder anderen Volksfestbesuchern noch nicht herumgesprochen. Vor allem bei denen, die die Nebenstraßen der Schanze oder St. Paulis für unbewohntes Brachland halten, das man ruhig vollkotzen darf. Lärm in Wohngebieten, Zuparken von Einfahrten, mutwilliges Zerschmeißen von Glasflaschen kamen sogar vor - alles schon normal, weil Feiern ja so schön ist.

Das Problem der Eventkultur: Mit ihr kommt das Verhalten im öffentlichen Raum auf den Hund. Feiern als Ausdruck von Fröhlichkeit und Lebenslust hat eine Art Absolutheitswert erhalten. Jeder, der Grenzen ziehen will, ist nicht nur ein Spielverderber, sondern quasi ein Untoter, der den Lifestyle der Postmoderne nicht versteht. Der Feiernde fühlt sich prinzipiell im Recht, weil Feiern als emotionale Selbstentfaltung gilt, die niemand verhindern darf. Das individuelle Gefühl wird zum Selbstwert, auch wenn es sich in noch so dummen und gefährlichen Aktionen äußert. DassSozialverhalten immer mit dem Umfeld und den Rechten anderer zu tun hat, geht dabei leider unter.