Neustadt. Vieles in seinem Leben scheint eine Baustelle zu sein. Orientierung fehlt offenbar, es mangelt an Kontinuität und Geradlinigkeit. Für die Justiz war Sven P. (Name geändert) über Monate jedenfalls nicht erreichbar. Und auch stabile Familienverhältnisse sehen anders aus. Nicht nur, dass seine jüngste Beziehung so gründlich in Trümmern liegt, dass sie jetzt zu einem Strafprozess führte. Sogar bei der Frage nach seinen Kindern gerät der Mann erheblich ins Schleudern. Er habe sieben, sagt der 39-Jährige. Doch als er ihr jeweiliges Alter nennen will, hat er für einen Augenblick den Überblick verloren.

Dabei hatte sich Sven P. doch bei diesem Termin augenscheinlich so viel Mühe gegeben, überzeugend und seriös rüberzukommen. Einen pechschwarzen Anzug hat er für seinen Auftritt als Angeklagter im Prozess vor dem Amtsgericht gewählt, dazu eine ebenso dunkle Krawatte. Und dazu der düstere und entschlossene Gesichtsausdruck, als er in wenige kurze Worte fasst, was die Quintessenz der vergangenen Jahre sei: "Ich war blind vor Liebe."

Dieser Satz ist nicht etwa als Geständnis gemeint auf die Vorwürfe aus der Anklage, Sven P. habe bei einer Auseinandersetzung mit seiner früheren Lebensgefährtin die Frau an den Haaren gezogen, sie an eine Wand gedrückt und ihr einen so heftigen Schlag gegen ein Ohr versetzt, dass ihr das Trommelfell riss. Nein, der Hamburger geht vielmehr zum Gegenangriff über. Seine Ex-Freundin sei diejenige, die seinerzeit gewalttätig gewesen sei. Sie habe ihre gemeinsame, damals anderthalbjährige Tochter "gegen die Wand gedrückt und geprügelt". Daraufhin habe er der Frau "aus Reflex" eine Ohrfeige gegeben, gibt der Hamburger an. Als Reaktion darauf habe sie sich einfach fallen gelassen. Der Amtsrichter ist irritiert. "Wieso nehmen Sie Ihr Kind nicht mit und verständigen die Polizei, wenn Ihre Tochter, wie Sie behaupten, misshandelt wird? Das will mir nicht in den Kopf." Sven P. zuckt ratlos mit den Schultern: "Ich war wohl etwas kopflos."

Doch seine frühere Lebensgefährtin schildert eine ganz andere Version der Ereignisse. Sven P., gegen den sie schon mehrfach einstweilige Verfügungen erwirkt hatte, nach denen ihm verboten wurde, sie zu misshandeln und zu belästigen, sei an jenem Tag plötzlich ausgerastet, erinnert sich die 39-Jährige. Eigentlich hätten sie sich zuvor noch ganz gut verstanden. Er habe sie besucht, um die gemeinsame Tochter zu sehen, zusammen hätten sie noch einkaufen wollen. "Auf einmal drehte er aus heiterem Himmel um und raste in die Wohnung." Sie habe das Unheil schon kommen sehen und ihre beiden älteren Kinder in deren Zimmer geschickt, damit sie den Tumult nicht mit ansehen müssten. "Er gab mir eine Ohrfeige, ich ging zu Boden. Es gab einen lauten Knall, und dann konnte ich nichts mehr hören", schildert die zierliche Frau. In einer Klinik wurde der Trommelfellriss diagnostiziert. Ob sie ihre Tochter zuvor gegen eine Wand gestoßen habe, möchte der Richter wissen. Die Frau ist entsetzt. "Wie bitte?", fragt sie entgeistert über die Behauptung ihres Ex-Freundes. "Das ist echt eine Unverschämtheit!"

Gestützt wird ihre Aussage von einer Nachbarin, die die 39-Jährige im Hausflur fand. "Sie lag im Türrahmen und war nicht ansprechbar." Der Sohn des Opfers habe ihr vollkommen erschüttert erzählt, seine Mama sei geschlagen und geschubst worden. Offensichtlich nicht zum ersten Mal: Sven P. hat neben mehreren Vorstrafen unter anderem wegen Betrugs auch eine wegen Körperverletzung. Der Vorfall ähnelt dem jetzigen fast bis ins Detail: Sven P. habe seine Lebensgefährtin, die ihre kleine Tochter im Arm hielt, an den Armen gepackt und nach hinten gestoßen, heißt es in dem früheren Urteil. Der Richter folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verhängt vier Monate Haft, die er zur Bewährung aussetzt. Der Angeklagte sei "nicht blind vor Liebe, sondern blind vor Wut gewesen, dass Sie so ausgetickt sind", sagt der Amtsrichter in der Urteilsbegründung. Zudem muss Sven P. 500 Euro Schmerzensgeld an das Opfer bezahlen. Er habe die Frau "krankenhausreif geschlagen, sie war nahe der Besinnungslosigkeit, und die Kinder haben das mitgekriegt", mahnt er den Angeklagten. Dass er versucht habe, seiner Ex-Freundin die Schuld in die Schuhe zu schieben, passe zur Vita des 39-Jährigen. "Sie scheinen sich zu durchs Leben zu lavieren."

Bedenklich sei, dass eine vorangegangene Verurteilung gerade mal zwei Monate vor dieser Tat ihn nicht genügend beeindruckt habe. "Deshalb muss es diesmal eine Haftstrafe sein, damit Sie wissen, was die Stunde geschlagen hat."