Hamburger Wirtschaft kritisiert schlechte Betreuung an Hochschulen. Unternehmen setzen auf Verbindung von Studium und Praxis im Betrieb.

Hamburg. Die Zahlen sind alarmierend: Trotz der guten Einstiegsgehälter und einer relativen Jobsicherheit brechen immer noch 48 Prozent aller Studenten der Ingenieurswissenschaft ihr Studium ab. Bei den Mathematikern und Naturwissenschaftlern sind es laut einer aktuellen Studie des Hochschul-Informations-Systems 39 Prozent, während in der Fachrichtung Maschinenbau und Elektrotechnik die Abbruchquote das Rekordniveau von 53 Prozent erreicht hat. Vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass laut dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) derzeit in Deutschland knapp 90.000 Ingenieure fehlen, fordert die Hamburger Wirtschaft die Universitäten energisch zum Handeln auf.

"Alle unsere Mühen bei Schulabgängern und Studienanfängern sind umsonst, wenn die Hälfte der Studierenden dann nicht zum Abschluss kommt", klagt Thomas Klischan, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Nordmetall. Volkswirtschaftlich sei dies eine Ressourcenverschwendung. "Wir erwarten von den Hochschulen nicht nur eine intensivere Beratung, bessere Vorauswahl und Betreuung der Studenten, sondern auch die Beschäftigung mit der Qualität der eigenen Lehre", sagte er. Universitäten hätten hier noch mehr Nachholbedarf als Fachhochschulen.

+++ Trotz Fachkräftemangel Probleme bei der Jobsuche +++

Das Problem des Ingenieurmangels betrifft vor allem mittelständische Firmen, während multinationale Konzerne bei den Studienabsolventen auch wegen ihrer Internationalität kaum Probleme bei der Suche nach jungen Talenten haben. "Auf unsere vakanten Positionen, die für Absolventen geeignet sind, bekommen wir ausreichend Bewerbungen von jungen, qualifizierten Nachwuchskräften aus den Ingenieurwissenschaften", sagt Airbus-Sprecher Heiko Stolzke dem Abendblatt. Allein in Deutschland will der Flugzeugbauer in diesem Jahr noch 1000 Mitarbeiter einstellen.

Die Hamburger Firma Weinmann, ein weltweit anerkannter Spezialist in der Notfall-, Schlaf- und Sauerstoffmedizin, hat das Problem des Fachkräftemangels schon früh erkannt und zur Selbsthilfe gegriffen. "Zur Gewinnung junger Talente vergeben wir Praktikaplätze und ermöglichen den Absolventen, ihre Diplomarbeit bei uns zu schreiben", sagt Karl-Andreas Feldhahn, einer der beiden Geschäftsführenden Gesellschafter des Unternehmens. Weinmann gehörte auch zu den ersten Firmen, die den vor einigen Jahren den auf Drängen der Hamburger Wirtschaft gegründeten Dualen Studiengang für Ingenieure mit Studenten aufgefüllt haben. "Seit es den Dualen Studiengang gibt, ist es für uns einfacher geworden, junge Spezialisten für Weinmann zu begeistern", so Feldhahn.

"Wir beschäftigen inzwischen rund zehn Absolventen, die ihr Studium entweder bereits beendet haben oder noch mittendrin sind", so der Manager. Anders als an Universitäten erleben die Teilnehmer des Dualen Lehrgangs einen Mix aus Praxis und Theorie. Das Studium und die Arbeit im Unternehmen wechseln sich ab. "Der Vorteil ist, dass die Studenten ein Gehalt bekommen", sagt Feldhahn. "In einem Land wie Deutschland sollte es nicht notwendig sein, dass sich junge, hoch talentierte Menschen ihr Studium durch Kellnern verdienen müssen." Weinmann profitiert von der Initiative, weil sich die Absolventen für zwei Jahre bei dem Unternehmen verpflichten müssen. "Es müssen sich noch weitere Universitäten für die Duale Ausbildung öffnen", fordert Klischan.

Die Gründe für einen Abbruch des Studiums sind vielfältig. So entscheiden sich einige Studenten, die eigentlich andere Fächer studieren wollten, für den Ingenieursberuf, weil es in diesem Fach keine Zugangsbeschränkung durch den Numerus clausus gibt. Wenn sie dann merken, dass sie den hohen Anforderungen vor allem im mathematischen Bereich nicht genügen, ist es zu spät.

+++ Fachkräftemangel: Neue Meister braucht das Land +++

Thomas Sattelberger, ehemaliger Personalvorstand der Telekom, sieht sogar das "große Problem, dass die Professoren Studenten rausprüfen". Im Klartext: Die Anforderungen seien viel zu hoch. Das will Frank Thielecke, Professor für Flugzeugsystemtechnik an der TU Harburg, nicht gelten lassen. "Die Ingenieurausbildung in Deutschland hat nach wie vor einen hervorragenden Ruf. Wir qualifizieren die Studenten nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Wissenschaft", begründet er die hohen Ansprüche. "Ein Problem ist, dass die Studienanfänger nach Abschaffung der Wehrpflicht jünger sind als früher." Vor Beginn des Studiums, sagt Thielecke, wären deshalb Schnupperkurse hilfreich, damit die Interessenten zunächst eine Ahnung davon bekommen, was sie erwartet.

Die norddeutsche Wirtschaft sucht derweil händeringend weiter nach den begehrten Experten. Allein in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gab es im März laut einer Verbandshochrechnung 8100 offene Stellen für Ingenieure.