Von einer Tee-Unternehmerin, die natürlich im New York Hamburgs wohnt

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für diese Stadt leisten, in Hamburg als Vorbilder gelten. Folge 40: Esin Rager, Unternehmerin. Sie bekam den roten Faden von Hauptpastorin Ulrike Murmann.

High Darling" heißt der eine, "Istanbul Nights" ein anderer. Namen wie Team Spirit und Maybe Baby, Orange Safari oder Total Reset vergab Esin Rager für ihre weiteren Teesorten. "Meine Babys", nennt sie die mittlerweile 25 Teearten des Sortiments ihrer Marke Samova. Die Wahl-Hamburgerin herrscht in ihrem Reich an der Hongkongstraße 1 in der HafenCity sicher nicht über ihre 15 Mitarbeiter, dafür über grünen Rooibos, zahlreiche Biokräuter, Grüntee, Ingwer, Lemongras, Cranberry-Stücke, Brombeerblätter sowie Guaranasamen, Sandelholz und Olivenblätter.

Es duftet frisch und besonders wenn man die versteckt liegenden Räume im dritten Stock eines 60er-Jahre-Baus direkt gegenüber dem Maritimen Museum betritt. Wände, Regale und Sitzmöbel sind in Weiß gehalten, dafür stechen die silbernen Blechdosen mit den farbigen Etiketten hervor, die Teegläser mit dem Firmensymbol: ein kleines Kunstwerk aus verschlungenen Linien, ähnlich einer Blumenblüte angeordnet. "Es könnte alles sein", sagt Rager und fährt mit dem Zeigefinger über die schwarze Zeichnung auf der Glasoberfläche. "Ein Mandala oder eine germanische Rune oder auch eine osmanische Kachel. Das gefiel mir, denn es soll eine Weltsprache sprechen." Und in dieser Aussage steckt die Essenz von Esin Ragers Einstellung zum Leben.

Denn wenn sich jemand als weltoffen bezeichnen kann, ist es sicher die 43-Jährige. Schon die Modalitäten ihres Aufwachsens drängen sie dazu, sich mit ihrer eigenen Identität und der ihrer Mitmenschen immer aufs Neue auseinanderzusetzen: Rager, die als Esin Onur geboren wird und die Tochter eines türkischen Diplomaten und einer deutschen Erzieherin für geistig behinderte Kinder ist, wächst nicht an einem Ort auf. "Ich wurde in den USA geboren, in Russland eingeschult, bin in Österreich zur Schule gegangen und habe schließlich in Paris und Hamburg studiert", sagt sie. Vorurteile gegenüber anderen Kulturen sind ihr deshalb fremd. "Ich verstehe mich als Weltbürger, gehöre keiner festen Religion an und setze mich dafür ein, dass Vorurteile abgebaut werden."

Was wie ein Kapitel aus dem Lehrbuch für Integration klingt, füllt Rager mit Leben: Sie sitzt im Beirat der Bürgerstiftung, engagiert sich in der Körber-Stiftung. Ihre Firma unterstützt die Hip Hop Academy in Billstedt, "Hinz& Kunzt" und Hamburg Leuchtfeuer verkaufen in ihren Onlineshops eine Teesorte, die Gewinnmarge dürfen die Organisationen behalten.

Sie selbst wurde oft auf ihren Vornamen angesprochen ("Du siehst gar nicht türkisch aus"). Dann erzählt sie mit glänzenden Augen, dass Esin "Morgenbrise" bedeutet. Wäre das nicht ein Name für eine neue Teesorte? Denn jedes Jahr erweitert sie die Kollektion um ein bis zwei Tees, beim "Tanztee No10" am 2. September im Business Club an der Elbchaussee wird der Neuzugang präsentiert: Peaceful Krauts. Ein Kräutertee mit Hopfen und Malz, der beruhigt. "Das deutsche Bier als friedlicher Teebotschafter", sagt Rager. Eine Marketingstrategie mit Augenzwinkern.

Hier offenbart die Unternehmerin, die zur schwarzen engen Hose und ebensolchem T-Shirt violette Turnschuhe trägt, ihre berufliche Herkunft: Rager kennt sich in Sachen Vermarktung und Medien bestens aus. Denn bevor das Universum des Tees sie fasste, war sie Journalistin. Nach dem Abitur 1987 macht sie ein Praktikum bei Gruner+Jahr in Paris, studiert dort und in Hamburg Französisch und Germanistik, leitet die Stadtzeitung "Hamburg Pur" und baut danach für das Hamburger Abendblatt mit Mitte 20 die Veranstaltungsbeilage "Hamburg LIVE" auf. "Ich habe diese Zeit sehr genossen", sagt sie, "ich habe mich seitdem immer daran gehalten, nur Projekte zu machen, die mich total begeistern." Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, spürt man in Esin Ragers Nähe nicht. Mit 30 gründet sie ihre eigene Agentur und arbeitet selbstständig für renommierte Verlage, entwirft neue Formate. Rager gilt als Spezialistin für Trends, Unterhaltung und Jugendkultur und als Frau, die sich durchsetzen kann und keiner Auseinandersetzung aus dem Weg geht.

Und so verlockend Angebote für Festanstellungen aus finanzieller Sicht sind, Rager entscheidet sich immer für ihre Unabhängigkeit. Und für ein Leben in ihrer Traumstadt Hamburg. In der sechsten Etage des Stilwerks bezieht die gefragte Durchstarterin ihr Büro und beliefert ihre Kunden mit Texten, Konzepten, Strategien.

Bei ihren Recherchen in der jungen Musikszene lernt Esin Onur auch Stefan Rager kennen, den Schlagzeuger der Hamburger Popband The Jeremy Days. Sie verlieben sich und heiraten 1999. "Eine Vereinigung der osmanischen und deutschen Kultur", wie sie sagt und dabei glücklich lächelt. Stefan Rager ist gebürtiger Münchner und mittlerweile musikalischer Leiter am Berliner Ensemble und arbeitet mit so spannenden Leuten wie der New Yorker Kultfigur Lou Reed zusammen. Die gemeinsamen Söhne Can Ludwig und Sinan Anton sind heute zwölf und sechs Jahre alt, Rager war also junge Mutter, als sie ihr Unternehmen Samova vor zehn Jahren gründete.

"Am Anfang war das mehr ein Spaßprojekt, das bei einem Frühstück mit drei Freunden bei uns zu Hause entstand", sagt Rager. "Da hatte ich als Teetrinkerin die Idee, dass das Image von Tee ja nicht immer etwas mit Jugendherberge, Krankenhaus und konservativem Lebensstil zu tun haben muss." Außerdem hatten sich die vier Kreativen - Rager, Medienvermarkter Stefan Müller und die Designer Heinrich Paravicini und Johannes Plass - endlich mal austoben wollen, einmal alle Ideen verwirklichen, ohne Einschränkungen von Auftraggebern. Damals, vor zehn Jahren, waren sie die Ersten, die den anderen Blickwinkel auf das Heißgetränk suchten - und fanden. Mittlerweile sind die Mitstreiter wegen anderer Prioritäten nicht mehr dabei, Stefan Müller, der bis zum vergangenen Jahr noch als zweiter Geschäftsführer dabei war, schied im vergangenen Jahr aus privaten Gründen freundschaftlich aus.

Rager ist so etwas wie eine moderne Missionarin, sie hat von Hamburg aus den Tee wieder belebt. Mit Überzeugung, immer dem letzten Wort und einem Konzept, das Nichtteetrinker zu Fans und das Getränk zum Livestyle-Produkt machte. Durch ein junges Konzept, pestizidfreie, laborgeprüfte Rohstoffe, Veranstaltungen wie Tanztees, Gesprächsabenden wie dem Philosophischen Salon und neuartigen Cocktailrezepten mit Tee. Es hat funktioniert: Teetrinken ist trendy. "Ich hatte neulich fast Tränen in den Augen, als mir eine Kundin erzählte, ihr 13-jähriger Sohn habe sich zum Geburtstag eine E-Gitarre und unsere Tees gewünscht", sagt Rager, die es in ihrem Gebiet geschafft hat, Vorurteile abzubauen, Menschen zu überzeugen.

In Samova liegt ihre Grundeinstellung, die sich natürlich auch in ihrem Privatleben findet. Nicht nur in ihren Teekreationen mischen sich Zutaten aus verschiedenen Ländern, auch sie forciert es, mit ihrer Familie, eine Nation unter vielen zu sein. "Deshalb sind wir vor sechs Jahren von Eppendorf nach Billstedt gezogen", sagt sie, "das ist das New York Hamburgs, hier leben so viele Nationalitäten selbstverständlich miteinander."

Das Ehepaar Rager wollte, dass ihre Jungs Multikulti wirklich kennenlernen und damit aufwachsen. "Es ist eine schöne und ehrliche Gegend", sagt Rager. "Da, wo die Autos der Reinigungsfirmen abends parken. Am Tag stehen sie vor Häusern in anderen Stadtteilen." Wollte sie wirklich Multikulti? Oder doch Miete sparen? "Die wenigsten wollten glauben, dass wir aus Überzeugung den Wohnort wechselten. Aber das war uns egal." Sie genießt es, dort im Osten der Stadt keine Rolle spielen zu müssen, nicht nur auf ihre Arbeit angesprochen zu werden. "Wirklich Feierabend ist für mich immer erst in Billstedt", sagt sie. Dort, wo es einen Garten gibt, in dem sie morgens Yoga machen kann, bevor sie einen Liter Tee der Sorte Total Reset, gemischt mit naturtrübem Apfelsaft, trinkt und dann den Tag mit ihrem Mann und den Söhnen beginnt. Bevor das Teekontor in der HafenCity nach ihr ruft.

Mit richtig viel "Team Spirit". Und dem Hauch der Morgenbrise.

Esin Rager reicht den roten Faden in der kommenden Woche an Medienunternehmer Frank Otto weiter. "Ich habe ihn als Menschen kennengelernt, der sein Ding macht und sich nicht von äußeren Zwängen beeinflussen lässt. Dazu ist er weltoffen und unkonventionell."