Deutschland mangelt es nicht an Steuern, sondern an deren sinnvoller Verwendung

Die Konjunktur läuft, die Staatseinnahmen sprudeln, Deutschland gilt als Fels in der Brandung der Euro-Krise, geradezu als Ausbund von Stabilität, Seriosität und als Lehrmeister im Fach Sparsamkeit. Das tut gut, ist es auch - bildet so aber leider auch nicht die ganze Wahrheit ab.

Zum einen zielen alle Bemühungen auf europäischer und nationaler Ebene, vom Fiskalpakt bis zu den Schuldenbremsen in Grundgesetz und Landesverfassungen, nicht etwa auf Sparen im eigentlichen Sinne ab: also auf das Zurücklegen von Reserven für Notzeiten oder für größere Investitionen. Bis jetzt geht es lediglich darum, die Neuverschuldung des Bundes bis 2016 eng zu begrenzen und die der Länder bis 2020 ganz zu verbieten. Bis dahin wächst der heute schon zwei Billionen Euro hohe deutsche Schuldenberg noch munter weiter. Von Griechenland und anderen Staaten, die über ihre Verhältnisse leben, unterscheidet uns lediglich, dass die Banken und der Rest der Welt uns zutrauen, auf lange Sicht wenigstens die Zinsen für die Verbindlichkeiten pünktlich zu zahlen.

Dass die deutsche Wirtschaft gut dasteht, liegt auch nicht nur an Schröderschen Arbeitsmarktreformen und Merkelscher Euro-Moderationskunst. Es liegt vor allem auch an der mittelständisch geprägten deutschen Ökonomie. Die ist flexibel, enorm produktiv und erfindungsreich. Die Arbeitnehmer sind fleißig, hoch qualifiziert, zuverlässig und mit gesellschaftlicher Verantwortung ausgestattet. Alles zusammen führt dazu, dass die Beschäftigung entgegen dem europäischen Trend wächst, dass zusätzliche Milliarden in die Staats- und Sozialkassen gespült werden. Eigentlich müssten also Mittel und Möglichkeiten für weitere Reformen vorhanden sein.

An dieser Stelle verliert sich der Segen aber wieder im innenpolitischen Kleinklein. Auf eine große Reform, den deutschen Steuerdschungel mit den sich widersprechenden Ausnahmen und Vergünstigungen zu lichten, wagt längst niemand mehr zu hoffen. Der Trend ist eher wieder ins Gegenteil verkehrt. Die Opposition hindert die Regierung an der Linderung der kalten Progression, weil sie meint, auf keinen Euro Steuergeld verzichten zu können. Andererseits sollen nach rot-grünem Willen aber irgendwie ja auch Konjunktur und Konsum weiter angekurbelt werden - mehr Netto in der Tasche wäre da nicht schlecht. Die Union will partout auf Betreiben der CSU, die ihr biedermeierliches Familienbild bedroht sieht, das Betreuungsgeld, vulgo Herdprämie, durchdrücken. Koste es, was es wolle. Und wenn schon der Solidaritätszuschlag wegen beschlossener Gesetze nicht gleich abgeschafft werden kann, so könnte der Steuerzahler, der ja weitgehend identisch mit dem Beitragszahler in die Sozialkassen ist, an anderer Stelle entlastet werde: etwa durch die Abschaffung der unsäglichen Praxisgebühr.

Opposition und auch CDU-geführte Ostländer schreien vereint wegen der Subventionskürzungen in der Solarbranche auf. Ein Gewerbe, das bei 50 Prozent der aufgewendeten Mittel nur drei Prozent der alternativen Energien liefert und mit dem prinzipiell etwas nicht stimmen kann, wenn es bei moderater Diät gleich in sich zusammenfällt. Entweder technisch nicht - oder es geht schlicht um Erpressungsversuche nach weiteren Fördergeldern. So blockiert man sich munter gegenseitig in Bundestag und Bundesrat, als hätte man alle Zeit der Welt und keine größeren Probleme.

Im Grunde leiden Deutschland und Europa an der gleichen Krankheit: Es mangelt weniger an Geld, sondern mehr an dessen kreativer und sinnvollen Verwendung jenseits kleinlicher Klientelpolitik. Da ist Deutschland allenfalls relativ besser als die noch schlechteren europäischen Partner. Luft nach oben in Sachen Staatskunst und Reformeifer ist allemal.