Neustadt. Die langjährige Abhängigkeit hat sein Gesicht gezeichnet. Und auch der Kummer und die Sorgen haben tiefe Furchen in seine Haut gegraben. Und trotzdem wirkt Reinhard J. heute wie ein tatenfreudiger Mann, einer, der sein Schicksal meistert und das Leben kraftvoll anpackt.

Die Ersatzdroge Methadon ist es, die für den 56-Jährigen der rettende Anker war, eine wirkungsvolle Hilfe durch Widrigkeiten und über Abgründe. Wie viel davon braucht ein Mensch, um sein Leben zu bewältigen? Sehr große Mengen, glaubte Reinhard J., und in seinem Arzt Dr. Joachim G. fand er einen Mann, der ihm diese auch verschrieb. Doch die Bereitschaft des Mediziners, seinem Patienten das Methadon zu verschaffen, hat den Arzt jetzt vor Gericht gebracht.

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz lautet der Vorwurf, der dem 61-Jährigen im Prozess vor dem Amtsgericht gemacht wird. Laut Anklage hat der Mediziner über Monate bei zwei Patienten deutlich zu viel Methadon verschrieben.

Joachim G. ist ein sehr erfahrener Arzt. Ein engagierter Mediziner, der seit einem Vierteljahrhundert Substitutionsbehandlungen macht und um die besonderen Schwierigkeiten seiner Klientel weiß. Und der betont, dass es immer wieder Menschen gebe, deren Bedürfnisse das übliche Maß sprengen, erklärt der schlanke 61-Jährige mit bedächtiger Stimme. "Und für besondere Fälle gibt es Ausnahmeregelungen."

Beide Patienten, um die es in der Anklage geht, seien solche Ausnahmefälle gewesen, betont der Angeklagte. Der eine, weil er durch sein enormes Arbeitspensum und außergewöhnliche familiäre Belastung in einer Situation gewesen sei, in der er befürchtet habe, "dass sonst sein Leben zusammenbricht". Und der andere Patient habe unter Traumata und zudem an chronischen Schmerzen gelitten und früher große Mengen Opium konsumiert.

Und nun sitzt dort Reinhard J. als Zeuge und preist den Anklagten als seinen Retter in der Not. Er habe seinerzeit sein Haus gebaut und unglaublich viel gearbeitet. "Ich hatte Probleme mit Drogen und wollte mit aller Kraft mein Leben mithilfe von Methadon bewältigen", erzählt der Maurer. "Es war eine sehr große Erleichterung, als der Arzt sagte, er würde mich behandeln." Zu der Zeit sei sein Vater, an dem er sehr hing, verstorben. Und später habe er seine Mutter ins Altenheim bringen müssen. "Das war eine höllische Belastung. Ich kam mit meiner Dosis nicht mehr hin. Ich wusste, wenn ich das Methadon nicht hab, dann kann ich nicht malochen." Da habe sein Arzt ihm mehr verschrieben, "aber nicht so locker-flockig, er ermahnte mich auch immer wieder, dass ich das wieder runterfahren muss".

Auch für den zweiten Patienten sei das Methadon ein Segen gewesen, betont Said Z., 48, als Zeuge. Der gebürtige Iraker erzählt von schweren Kopfschmerzen und erheblichen traumatischen Erlebnissen in seiner früheren Heimat unter Saddam Hussein. Joachim G. sei als Arzt "lieb und nett gewesen". Auch habe der Angeklagte versucht, auf ihn einzuwirken, dass er das Methadon geringer dosiere.

Er habe tatsächlich immer wieder betont, ergänzt der angeklagte Arzt, wie wichtig es sei, dass seine Patienten weniger konsumieren. "Ich habe in ständigen Gesprächen versucht, das zu erreichen." Allerdings seien die Dokumentation seiner Behandlung und damit eine Begründung, warum es sich hier für im Gesetz begründete Ausnahmefälle für die hohe Dosierung handele, "erweiterungsfähig", sagt Joachim G. "Ich habe lieber die Zeit darauf verwandt, die Patienten zu betreuen. Ich werde die Dokumentation aber verbessern."

Nach Überzeugung einer Sachverständigen ist bei beiden Patienten "der Ausnahmefall begründet", sagt die Toxikologin im Prozess. Die Männer hätten glaubhaft geschildert, warum sie mit der vorgeschriebenen Höchstdosis nicht auskamen. Dem Angeklagten sei wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz deshalb "kein Vorwurf zu machen". Die Höchstgrenze von 3000 Milligramm pro Monat und damit 100 Milligramm pro Tag sei "wichtig als Korrektiv".

Der Amtsrichter folgt in seiner Entscheidung der Sachverständigen und spricht den angeklagten Mediziner frei. Zwar seien Joachim G. Vorwürfe zu machen wegen der schwachen Dokumentation in den Patientenakten. Aber ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz liege nicht vor, beide Patienten seien begründete Ausnahmefälle. Der Arzt habe sich um seine Patienten bemüht. Und sie seien eine schwierige Klientel, "um die sich keiner reißt".