Ex-Kollegin des Beschuldigten meldet sich aus London

Hamburg. Im Prozess um den Eppendorfer Unfallfahrer hat sich eine neue Zeugin gemeldet - mit überraschenden Informationen. Gestern verlas das Gericht eine E-Mail, die am Abend zuvor bei der Staatsanwaltschaft eingegangen war. Sabine K. schildert darin, dass sie von 1996 bis 2000 mit dem unter anderem wegen vierfacher fahrlässiger Tötung angeklagten Alexander S. zusammengearbeitet habe und mit ihm auch "persönlich involviert" gewesen sei. "Ich habe einen Anfall bei mir Zuhause miterlebt, und auch im Büro hatte er Aussetzer", steht in der E-Mail. Außerdem habe S. ihr erzählt, dass seine Freundin Nina P. für ihn regelmäßig Arzttermine diesbezüglich machen müsse, da er diese selbst häufig vergesse. Zuletzt hatte S.s heutige Partnerin ausgesagt, dass ihr keine Epilepsie-Erkrankung bekannt sei. Die mittlerweile in London lebende ehemalige Arbeitskollegin wurde nun für den 25. Mai als Zeugin geladen. Bisher waren keine Anfälle in dem von der Zeugin genannten Zeitraum bekannt.

Laut Anklage hatte Alexander S. am 12. März 2011 kurz vor einer Kreuzung in Eppendorf einen Krampfanfall erlitten. Mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde schoss er mit seinem Wagen über eine rote Ampel, stieß mit einem Cabrio zusammen und schleuderte in eine an der Fußgängerampel wartende Menschengruppe. Der Sozialforscher Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und dessen Frau Sibylle sowie die Künstlerin Angela Kurrer starben bei dem Unglück. Zwei medizinische Sachverständige haben in dem Prozess bereits ihre Gutachten abgegeben - mit demselben Ergebnis: Alexander S. leide an Epilepsie und sei sich dessen bewusst gewesen. Im Blut des Angeklagten wurden nach dem Unfall Spuren eines Antiepileptikums gefunden. S. äußerte sich am Montag erstmals selbst zu den Vorwürfen. "Nach dem, was die Ärzte mir immer gesagt haben, bin ich kein Epileptiker", sagte er.

Prof. Dr. Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin und einer der Gutachter, änderte an seiner Einschätzung auch nach den Ausführungen des Angeklagten nichts. "Ich gehe davon aus, dass Herr S. in dieser Sache zu sich selbst nicht ehrlich ist", sagte Püschel gestern. "Entweder bewusst oder durch Verdrängung." Seine Ausführungen am Montag haben gezeigt, dass er die Krankheit sehr wohl verstanden habe.

Eigentlich sollte heute das Urteil gefällt werden, doch durch die neue Zeugin und die späten Einlassungen des Angeklagten, die eine zweite Einschätzung der Gutachter nötig machen, wurde der Zeitplan geändert. Am 31. Mai sollen die Plädoyers gehalten und am 5. Juni das Urteil verkündet werden - einen Monat später als geplant.