Ein Kommentar von Matthias Gretzschel

Am Ende seines Lebens war Edvard Munch ungeachtet aller persönlichen Krisen ein erfolgreicher Maler. Dass eines seiner Bilder einmal für 120 Millionen Dollar versteigert werden könnte, hätte er sich trotzdem kaum vorstellen können. Auch uns entzieht sich ein solcher Betrag jeder Vorstellbarkeit. Wer 3000 Euro verdient, hat der "Focus" nachgerechnet, müsste - ohne Steuern und Miete zu zahlen und ohne zu essen - 2500 Jahre sparen, um sich das Bild leisten zu können. Einerseits sind die 120 Millionen Ausdruck eines völlig überhitzten Kunstmarkts, andererseits Symptom dafür, dass einzigartige Kunstwerke jene "Sicherheit" verheißen, die in einer krisenhaften Weltlage immer schwerer zu erlangen scheint.

Dabei ist es nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet eine so beunruhigende Bildkomposition vielleicht für lange Zeit in einem Banksafe verschwindet, um seinem milliardenschweren Besitzer das beruhigende Gefühl von Sicherheit zu geben. Schon gibt es Gerüchte, der Emir von Katar habe das expressionistische Meisterwerk ersteigert. Bereits seit einiger Zeit investieren Golfherrscher gewaltige Beträge in westeuropäische Kunst, deren Ästhetik mit den Konventionen des islamischen Kulturkreises nicht leicht zu vermitteln sein dürfte. Aber wäre es nicht ein Zeichen für die universale Wirkung von Kunst, wenn man Munchs verstörenden "Schrei" demnächst in einem Museum in Katar betrachten könnte?