Die Entscheidung über Betreuungsgeld und Kita-Ausbau sollte die Politik nicht nur mit Blick auf Problemfamilien fällen

Seit Wochen wird über Betreuungsgeld/Krippenausbau intensiv und kontrovers diskutiert. Meist stellen erfolgreiche Frauen aus Politik und Medien ihre Auffassung dar, die das Betreuungsgeld als Irrweg und den Krippenausbau als Weg der Zukunft sehen. Als sechsfacher Großvater und geprägt von Erfahrungen aus jahrzehntelanger beruflicher Beobachtung des Jugendbereichs habe ich zur "Fernhalteprämie" - wie Frau Schwesig (Arbeitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern) das Betreuungsgeld nannte - eine andere Auffassung. Ich bin mir bewusst, dass auch im christlich-bürgerlichen Lager dazu eine geradezu ideologische Auseinandersetzung ausgebrochen ist. Aber das traditionelle Familienmodell lebt. Das zeigt auch eine Umfrage (Abendblatt vom 24. April 2012), nach der eine Zweidrittelmehrheit gegen den politischen "Mainstream" votiert.

Meine Frau und ich haben es selbst gelebt, weil - wie bei unseren Söhnen - die Ausbildungsgegebenheiten und Einkommenschancen diese Rollenverteilung anboten. Also aus pragmatischen Gründen, die aber unserem Lebensgefühl entsprachen, weil Mütter ihren Kindern naturgemäß das Allerliebste sind. Dass Kinder in den ersten Lebensjahren die Mutter brauchen, hat mir 1969 vor der Geburt unseres ersten Sohnes ein Kinderarzt aus Bremen deutlich ans Herz gelegt. Ich habe deshalb - gegen den Wunsch meiner Frau - auf ein Studium verzichtet und eine Ausbildung für den allgemeinen gehobenen Dienst in Hamburg angetreten. Ich habe das nie bereut und habe es auch ohne Studium bis in den Höheren Dienst geschafft. Die Zuständigkeit für die Ressourcen im Jugendbereich war ein Schwerpunkt in den 35 Jahren meiner Berufstätigkeit.

In dieser Zeit habe ich viel Literatur gefunden, die bestätigt, dass die ersten Jahre eines Kindes in die Hand der Mutter gehören. Der Krippenausbau ist keine familienpolitische Maßnahme, sondern hat emanzipatorischen und wirtschaftspolitischen Hintergrund, der unter diesem Aspekt seine Berechtigung hat. Ich setze dazu aber als Kontrapunkt: Wir sind, wie in vielen anderen Lebensbereichen, dabei, über das Ziel hinauszuschießen. Ob doppelverdienende Paare ein frei zu wählendes Lebensmodell oder dies zum Standardmodell erklärt werden sollen, ist zweierlei. Ich hatte das Glück, mit meinen Enkeln in den ersten Lebensjahren oft mehr Zeit als mit meinen eigenen Kindern verbringen zu können. Warum Eltern freiwillig darauf verzichten, ist mir unverständlich. Sicher haben wir uns in den ersten Jahren unserer Ehe vieles nicht leisten können, was Doppelverdienern möglich war.

Die Aussage von Frau Schwesig, dass bei ihr die Familie Vorrang vor der Politik habe, halte ich für wenig realistisch. Das macht sich nämlich nicht daran fest, ob man im Notfall - wie der Krankheit des Kindes - mal einen Termin beim Parteivorsitzenden absagt.

Ich sehe auch, dass es mit dem Betreuungsgeld in Problemfamilien zu Konflikten kommen kann - wie bei anderen sozialen Maßnahmen, die in Geld statt Leistungen erbracht werden. Aber man kann nicht jede Entscheidung an Problemfamilien festmachen. Gleichwohl ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn zusätzliche Rentenanwartschaften für selbst erziehende Mütter als Kompensation für die teure Krippe gewählt würden.

Familien, die nur Halbtagseinrichtungen nach dem dritten Lebensjahr in Anspruch genommen haben, dürften im Vergleich zu Doppelverdienern, die ihre Kinder als Einjährige in Krippe und Ganztagskindergarten/Hort gegeben haben, dem Staat Ausgaben von zigtausend Euro erspart haben. Die aktuellen Kita-Platz-Kosten im Haushaltsplanentwurf (!) Hamburgs 2011/2012 liegen bei 542 Euro. Die Krippenplatzkosten sind nach meiner Erinnerung fast doppelt so teuer. Sucht man bei Google nach Krippenplatzkosten, erhält man bezeichnenderweise immer nur Informationen über Elternbeiträge, nicht aber die verbleibenden, vom Steuerzahler zu tragenden "Restkosten", die bei 83 Prozent liegen.

Mit der Orientierung auf staatliche Erziehung vom ersten Lebensjahr an fallen wir in Oberklassenerziehung des 19. Jahrhunderts zurück, wo Kinder Muttermilch von der Amme erhielten und die leiblichen Eltern selten mit dem Begriff "Liebe" verknüpft waren. Glauben wir nicht alle, dass der Mensch der Natur schon viel zu sehr in Abläufe und Regeln hineinpfuscht? Die Rolle der Mutter lässt sich nicht ersetzen!