Die Brüder Ulf und Lars Lunge aus Hamburg schreiben mit der einzigen Sportschuh-Produktion Deutschlands schwarze Zahlen.

Düssin. Für Ulf Lunge gibt es kaum Denkverbote. Er ist Visionär, hat sich mit seinem Bruder Lars getraut, in der Einsamkeit Mecklenburgs die einzige Laufschuhproduktion Deutschlands hochzuziehen. Eine Fabrik für Produkte, die Marathonläufer, aber auch anspruchsvolle Alsterjogger zufrieden stellen sollen, hergestellt in einer riesigen ehemaligen Scheune, zwischen endlosen Wiesen und Feldern, in der Nachbarschaft von verfallenden Gehöften, aus denen gackernde Hühner über die Straßen laufen. Die beiden Hamburger haben für das ungewöhnliche Projekt, den Mercedes unter den Sportschuhen zu produzieren, die Altersvorsorge aufs Spiel gesetzt. Es war ein risikoreiches Investment für das schwer verdiente Geld, das ihre Sportschuh-Läden in Hamburg und Berlin abgeworfen haben. Doch mittlerweile lohnt es sich. Vier Jahre nach dem Start haben die Unternehmer mit einer Jahresproduktion von gut 8000 Paar Schuhen nun die Gewinnschwelle erreicht.

Noch immer gehen die Brüder mit leuchtenden Augen durch die Produktion in der Scheune im kleinen Dorf Düssin, 80 Kilometer östlich von Hamburg. Gerade so, als habe sich in dem Werk mit dem Plastikgeruch in der Luft, mit surrenden Maschinen und halbfertiger Fußbekleidung auf den Regalen ihr größter Lebenstraum verwirklicht. "Wir sind immer noch euphorisch", sagt Ulf Lunge, mit 51 Jahren der ältere und extrovertiertere der beiden Brüder. "Und vor allem: Jetzt fangen die Leute an, uns zu glauben." Skeptiker, die ihre Idee anfangs als "plemplem" bezeichnet hätten, würden zumindest verstummen oder offen ihre Bewunderung äußern, sagt der Kaufmann mit den inzwischen leicht ergrauten Haaren, der weiß, was ein langer Atem bedeutet: Der noch immer durchtrainierte Sportler hat 1983 den Hamburger Marathon gewonnen.

Die Lunges beliefern mit ihren Schuhen bundesweit 120 Geschäfte. Und das, obgleich die beiden Laien in Sachen Textilherstellung einige Umwege zum Erfolg nehmen mussten, sich manche Vorstellung von den Schuhen "made in Germany" in Luft aufgelöst hat. Nicht zu verkaufen, sagten Händler über die 200 Euro teuren Produkte. Zu wenige Farben, bemängelten einige der Kunden, als die Brüder anfangs nur eine Handvoll Designs im Angebot hatten. "Aber wir lernen eben auch ständig dazu", sagt der 46-jährige Lars Lunge. Und der Satz ist aktuell. Denn derzeit sind die Brüder dabei, einen neuen Schwerpunkt in ihrer Schuhproduktion zu setzen. Sie haben den Markt der sogenannten Best Ager entdeckt. Gut verdienende Menschen über 50. Die Lunges konzentrieren sich nicht mehr auf die jungen Extremläufer, für die sie ihre Hightech-Schuhe einst entwickelten.

+++ Der schwere Weg zum idealen Laufschuh +++

"Wir haben gesehen, dass unsere Materialien, die besonders elastische und dämpfende Sohlen ermöglichen, auch im Bequemschuhbereich eine Chance haben", sagt Ulf Lunge und zeigt auf eine lange Reihe grüner Kartons, die in der Scheune zur Auslieferung parat stehen. Stapelten sich hier bisher hauptsächlich Modelle mit atmungsaktiver Außenhaut für den Extremsportler, der mit den Schuhen problemlos mehrere Tausend Kilometer zurücklegen konnte, rücken heute die komfortablen Schuhe für etwas ruhigere Tätigkeiten in den Vordergrund: für Ärzte, Verkäufer oder Kellner. Menschen, die wegen ihres Berufs viel auf den Beinen sind, sollen als Zielgruppe erschlossen werden. "Auf Fachmessen ist uns schon länger aufgefallen, dass die Händler unsere Laufschuhe tragen, weil sie so bequem sind", sagt Ulf Lunge. "Warum sollten wir dann nicht auch neben unseren Sportmodellen komfortable Alltagsschuhe herstellen?"

Jetzt schon macht der Bequemschuhbereich die Hälfte ihres Umsatzes aus. Tendenz steigend. "Der Markt ist um ein Vielfaches größer als der für Laufschuhe", schwärmt Ulf Lunge. Viele Marken wie Finn Comfort, Geox oder Bauerfeind haben sich ebenfalls auf diesen Bereich spezialisiert, die Hamburger glauben aber, die Hightech-Materialien ihrer Schuhe böten Orthopädietechnikern optimale Möglichkeiten, um für Kunden mit Beschwerden wie Arthrose individuelle Einlagen und Zuschnitte anzufertigen.

Die Ausrichtung der Schuhfabrik auf neue Modellreihen kommt zur rechten Zeit: Zwar sind die Brüder mit dem Werk aus den roten Zahlen, doch die Herausforderungen einer Produktion in einem Hochlohnland, in dem die Schuhproduktion ausstirbt, bleiben. Die Hamburger müssen nicht nur 18 Beschäftigten gemäß Tarif acht Euro die Stunde für das Steppen, Nähen oder Kleben der Nähte zahlen und damit ein Vielfaches des Lohns, den Konkurrenten wie Adidas oder Nike für ihre Arbeiter in Asien ausgeben. Sie stecken auch viel Geld in Maschinen und Werkzeuge, die in keiner anderen Näherei zu finden sind, weil sie den Schuh für ihre Bedürfnisse neu erfunden haben. "Mit einer solchen Maschine wird bei Porsche das Leder für die Sitze zugeschnitten", sagt Ulf Lunge und zeigt auf die Station, an der Schuhe in Form gebracht werden.

Einzig die Reihen mit Pfaff-Nähmaschinen, an denen Frauen sitzen und den Schaft verstärken oder Leuchtstreifen annähen, sind ein Bild, das ein wenig an die Dokumentationen über Textilfabriken in Bangladesch oder China erinnert. Gabriela Dirksen ist eine dieser Frauen in Düssin. Sie schaut konzentriert auf die Schuhlasche, die sie mit großer Routine bearbeitet. Schon zu DDR-Zeiten war das Nähen ihr Metier. "Ich habe in der Lederwarenfabrik in Schwerin gelernt", sagt die Mecklenburgerin. Anschließend war sie eine Zeit lang als Zerspanerin tätig, bis die Lunges ihr die Möglichkeit gaben, wieder in ihrem alten Beruf zu arbeiten. Denn die alte Lederproduktion existiert heute nicht mehr.

"Die Chefs sind nett", sagt sie lachend, außerdem seien die Jobs in der Region äußerst dünn gesät und der morgendliche Weg zum Schuhwerk ist nah für die Frau aus Tripkau. Sie kann sich noch an die Zeiten erinnern, als in dem Gebäude, in der sie nun arbeitet, 400 Kühe einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) wiederkäuten. Ohne die Brüder Lunge wäre die Scheune heute mit großer Wahrscheinlichkeit nur noch eine Ruine.