Vor dieser Abwehrhaltung in Hamburg stehen oft Ängste: vor einer neuen Kita oder einem Hospiz. Man kann lernen, damit umzugehen

In Winterhude soll eine Kita entstehen - Anwohner verhindern dies mit juristischen Spitzfindigkeiten. In Harburg eröffnet im Sommer 2013 ein Hospiz - Anwohner sorgen sich um ihre Grundstückspreise und verkaufen vor der Eröffnung des Sterbeheims. In Sasel will die Diakonie ein Haus für Kinder und Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen gründen - Anwohner stoppen vorläufig das Projekt durch einen Einspruch im Eingabeausschuss der Bürgerschaft. In Jenfeld werden Sicherungsverwahrte untergebracht - seit Wochen protestieren täglich Anwohner dagegen.

Geradezu reflexartig reagieren diese Hamburger auf neue soziale Projekte in ihrem Umfeld. Das erschreckt und erbost mich zugleich. Man ja kann schon Wetten darauf abschließen: Wenn irgendwo eine soziale Einrichtung geplant wird, protestiert irgendeine Gruppe mit Sicherheit dagegen. Soll denn alles, was anscheinend dem "guten bürgerlichen Leben" widerspricht, ins Industriegebiet oder in gering besiedelte Gebiete verbannt werden? "Aus den Augen - aus dem Sinn" scheint hier die Lebenshaltung zu sein. Aber das Leben verläuft nicht immer glatt und perfekt - für keinen von uns. Krankheiten, Behinderungen, Konflikte mit dem Gesetz und natürlich der Tod gehören zu unserem Leben. Wer dies verbannen will, will eine Scheinwelt errichten, in der alles perfekt ist und Defizite des Lebens und die soziale Antwort darauf getilgt sind. In der es keine Krankheit, kein Leid, kein Sterben geben darf. Die Anwohnerproteste stehen so für eine Illusion vom perfekten Leben.

Sind also die Hamburgerinnen und Hamburger egoistisch?

Nein, ich denke eher, dass dahinter Ängste stecken: Die Angst, es könnte etwas Schlimmes passieren, wenn diese Jugendlichen, diese Kita-Kinder, diese Sicherungsverwahrten (übrigens hochgradig bewachte), diese Sterbenden in meine Nähe ziehen. Es ist das Gefühl, die eigene Lebensqualität sei nur in einer Scheinwelt ohne Leid und Schmerz gewährleistet.

Doch was macht die Lebensqualität in einer Stadt, in einem Gemeinwesen aus?

Für mich gehört zur Lebensqualität, dass das Miteinander in unserer Gesellschaft und in der Nachbarschaft gelingt. Solidarität und Mitgefühl gehören unbedingt dazu. Das christliche Gebot der Nächstenliebe sagt nicht, dass ich mir den Nächsten aussuchen kann, sondern dass ich meinen Nächsten sehen, erkennen, bemerken muss - und handeln. So wie der barmherzige Samariter in der Geschichte der Bibel, der als Einziger nicht an dem Opfer eines Überfalls vorbeigeht, sondern Abhilfe schafft. Aber wie kommen wir von der reflexhaften Abwehr zu einer demokratischen und gemeinschaftsfördernden Haltung?

Zum Beispiel, indem man sich informiert über das, was da in der Nachbarschaft entstehen soll. Indem man zuhört. Ich erwarte schon, dass erwachsene Menschen ihren Kopf einschalten und nicht nur ihren spontanen Ängsten Raum geben. Dann würden sie erfahren, dass im Umfeld eines Hospizes keine depressive Grundstimmung herrscht, sondern ein gesundes "Memento mori", also ein Leben mit dem Wissen um unsere Endlichkeit; dass im Umfeld einer Jugendwohnung nicht die Einbruchszahlen steigen oder Gewalt regiert und dass auch die Grundstückspreise nicht verfallen - wobei bei der letzten Sorge die Scheinwelt dann zur Scheinewelt degeneriert, in der das Geld mehr zählt als der Mensch.

All diese Projekte sind ein Gewinn für die Gesellschaft insgesamt, wenn es gelingt, Jugendlichen wieder eine Perspektive zu geben oder ein Sterben in Würde mitten im Leben zu gestalten. Und es kann ein Gewinn für jeden persönlich sein: Wer den Mut hat, in Kontakt zu treten mit diesen sozialen Einrichtungen, wird damit belohnt, die Angst zu überwinden, und bekommt die Chance, beeindruckende Erfahrungen zu machen. Häufig sind es sogar Nachbarn, die sich ehrenamtlich in Einrichtungen engagieren.

Die schlechte Nachricht: Konflikte, Defizite, Krankheiten, Tod können nicht verbannt werden. Sie gehören zum Leben. Das Leben gibt es nicht geschönt.

Die gute Nachricht: Man kann lernen, gut damit umzugehen, sodass es für alle eine Bereicherung wird.