Digitale Hilfe: Der Hamburger Therapeut Christian Hemschemeier hat eine iPhone-App entwickelt, mit deren Hilfe Partner ihre Beziehung kitten können.

Hamburg. Am Anfang war die Wischbewegung. Immer das gleiche Bild in der Praxis des Paartherapeuten Christian Hemschemeier in Hamburg-Alstertal: Frauen wie Männer zückten nach der Therapiesitzung ihre berührungssensiblen Smartphones, um neue Termine zu vereinbaren. Daraus entstand eine Idee: Paarberatung für iPhone und iPad. Warum auch nicht - es gibt schließlich Apps für alle Lebenslagen, vom Umgebungs-Supermarktfinder bis zur Bundesligatabelle. Und da Hemschemeier, 44, nicht nur gerne was mit Menschen macht, sondern auch mit Technik, schrieb er ein Psychoprogramm für die kleine Selbstanalyse zwischendurch. Das kostet 2,39 Euro, heißt schlicht "Paarberatung" und soll vor allem den männlichen Teil der Zweierkiste neugierig machen, sagt Hemschemeier: "Ein niedrigschwelliger Einstieg, um ins Gespräch zu kommen." Denn während moderne Männer auf die Worte "Schatz, wir müssen reden" eher mit einem akuten Anfall von Taubheit reagieren, macht sie die Kombination aus Technik und Spieltrieb hellhörig. Der Fragebogen der App hat es in aller Kürze durchaus in sich. Nach Streitkultur und Fremdgehen wird ebenso gefragt wie nach Belastungen durch Krankheit und Jobverlust.

Nach einer kurzen Ferndiagnose bekommt das Paar Hausaufgaben: etwa, die Beziehung als Fluss aufzumalen oder in der eigenen Biografie nach Stolpersteinen zu suchen. Klingt wie eine Art Best-of-Album der Liebeskrisen und ihrer Lösungsansätze, ist es auch: Die effektivsten Übungen aus zehn Jahren Praxis hat der Therapeut hier zusammengestellt. "Eine persönliche Beratung kann das natürlich nicht ersetzen", sagt Hemschemeier, "es ist eher als Anstoß gedacht für Paare, bei denen es nicht ganz rund läuft."

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Computer gegen die Krise - es scheint, dass Männer und Frauen im Jahr 2012 sich nicht nur auf die Wahl der Mittel einigen können, sondern durchaus ähnliche Probleme haben. In seiner viel diskutierten Streitschrift "Das entehrte Geschlecht" beklagt sich etwa der Berliner Schriftsteller Ralf Bönt über die desolate Lage seiner Geschlechtsgenossen zwischen Karrieredruck und Softie-Lächerlichkeit. Schuld daran, sagt Bönt, sind nicht etwa enthemmte Feministinnen - es ist eher das System an sich, das von beiden Geschlechtern immer mehr fordert, sie dabei aber gleichzeitig auf traditionellen Aufgaben festnagelt. Die Hamburger Seminarleiterin und Stress-Expertin Helen Heinemann sieht die Verunsicherung in Beziehung und Familie sogar als mögliche Ursache für Burn-out: "Uns geht es nicht nur gut mit der Auflösung der Geschlechterrollen. Das Gleich-sein-Sollen stresst!" Denn wenn alle alles leisten sollen, fallen Auszeiten für beide Seiten flach. Papa darf sich nach Feierabend nicht mehr aufs Sofa fallen lassen, sondern soll sofort mit der Vierjährigen eine Runde Radfahren üben. Mama muss sich spätestens im sechsten Schwangerschaftsmonat schon wieder Gedanken machen über ihre Rückkehr in den Job. Und bei all dem sollen alle beide auch noch sexy aussehen. Das erwartet sie von ihm und er von ihr, aber auch jeder von sich selbst.

Auch Christian Hemschemeier kennt aus seiner Praxis junge Paare - Frau verdient mehr, Mann kümmert sich um die Kinder -, die sich schwertun mit ihrem modernen Lebensentwurf. Weil sie ihn doch insgeheim für einen Waschlappen hält, weil er mit dem Kind beim Kinderarzt sitzt, statt im Projektmeeting. Auch wenn's schwerfällt es zuzugeben - ist ja nicht politisch korrekt. Hemschemeier: " Der Gedanke der weiblichen Gleichberechtigung hat sich seit etwa 40, 50 Jahren durchgesetzt, dahinter liegt aber eine jahrhundertealte Tradition, die sich nicht einfach abschütteln lässt." Immerhin: Paare haben etwas dazugelernt beim Krisenmanagement, vor allem die Männer.

"Es sind zumeist die Frauen, von denen die Initiative für eine Beratung ausgeht", so Hemschemeier, "aber zu 50 Prozent sind es Männer, die auch in der Praxis anrufen." Im Zeitalter des iPhones gilt: Appen ist Silber, Reden ist Gold.

Weitere Informationen zum Thema: Ralf Bönt, "Das entehrte Geschlecht - eine notwendige Streitschrift für den Mann", Pantheon, 12,99 Euro. Helen Heinemann, "Warum Burn-out nicht vom Job kommt", Adeo, 17,99 Euro, Website Christian Hemschemeier: www.eheberatung.info