Baustoffhändlerin Gerdi Benthack ist Deutschlands wohl älteste Firmen-Chefin. Bald feiert sie 100. Geburtstag - und arbeitet noch immer im Büro.

Billbrook. In dem kleinen Flur steht gleich hinter der Tür ein schwarzer Gehwagen. Dezent in der Ecke, aber doch nicht zu übersehen. Nebenan am Geländer eine große weiße Schiene. Auf der fährt ein Treppenlift zwei Stockwerke nach oben und unten. Der Lifta ist der persönliche Fahrstuhl von Gerdi Benthack. "Ohne den würde es mir heute quasi unmöglich sein, ins Büro zu kommen", sagt sie.

Kein Wunder, Gerdi Benthack wird in wenigen Tagen 100 Jahre alt und ist damit die wohl älteste Firmenchefin Deutschlands. Jeden Montagmorgen lässt sie sich nach Billbrook zu Henri Benthack Baustoffe bringen, ihrer Firma. Und die ist keine kleine Klitsche: 203 Mitarbeiter sorgten im vergangenen Geschäftsjahr für 85 Millionen Euro Umsatz.

Gerdi Benthack verbringt montags den ganzen Tag im Büro. "Wir müssen uns ja besprechen", sagt sie. Wir, das sind zumeist ihre Tochter Sigrid Schölzel, 75, der ehemalige Firmenchef und Beirat des Unternehmens Klaus Lühmann und die beiden Geschäftsführer Christoph Bauschen und Reinhold Mergenthal. Gemeinsam werden dann wichtige strategische Entscheidungen des Unternehmens genauso diskutiert wie Projekte der Stiftung. "Ich kann doch meine Herren nicht allein lassen", ist ihr trockener Kommentar zu ihrem Engagement. "Außerdem bin ich neugierig und will einfach alles wissen." Auch den Rest der Woche lasse sie sich immer auf dem Laufenden halten. Dann eben per Telefon.

Dabei hat Gerdi Benthack keine Probleme, mit den jüngeren Gesprächspartnern mitzuhalten. "Nur die Ohren, die wollen nicht mehr so", sagt sie und lacht kess. Und die Augen, die seien auch nicht mehr die Besten. Das ist aber auch schon alles. Kerzengerade sitzt sie auch jetzt in ihrem Stuhl, eine Tasse Kaffee und ein Glas Wasser vor sich. In den Ohren Hörgeräte. Neben dem Stuhl steht ein brauner Stock. Elegant gekleidet ist die Firmenchefin. Heute trägt sie einen weißen Rock. Ein lachsfarbenes Shirt, dazu einen farblich abgestimmten Blazer. Und schlichten Perlenschmuck. Mit jeder Bewegung strahlt sie hanseatische Eleganz aus, aber auch eine ungeheure Durchsetzungskraft. "Ich ziehe mich gern schick an." In kurzen knappen Worten erzählt sie dann von sich, der Firma und dem Leben einer 100-Jährigen. Vielleicht ist es das Alter, das sie kein Wort zu viel sprechen lässt, vielleicht die für sie typische Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Geboren wurde Gerdi Benthack am 4. Juni 1911 in Altona. Die Herkunft hört man ihr an, ganz hamburgisch stolpert sie über den s-pitzen S-tein. Nach einer Hauswirtschaftslehre und dem Besuch der Handelsschule arbeitete die junge Frau zunächst als Kontoristin für die Firma Herbert Braun & Co. - dahinter versteckte sich Henri Benthack, ihr späterer Ehemann, der schon bald neue Pläne hatte. 1930 machte er sich gemeinsam mit Gerdi - damals noch Timplan - an der Mönckebergstraße mit einem Baustoffhandel selbstständig. Die junge Frau war gerade einmal 19 Jahre alt, Benthack ihr Chef und ein Freund, wie sie sagt. "Ich war seine erste und einzige Mitarbeiterin."

Fünf Jahre später wurde aus Gerdi Timplan Gerdi Benthack. Aus Freunden und Geschäftspartnern mit der Geburt der Tochter Sigrid 1936 eine Familie. Die Hamburgerin pausierte auch nach der Geburt ihrer Tochter nicht. "Wir haben das dank der Unterstützung meiner Mutter und der Hilfe der Hausangestellten alles organisiert bekommen", sagt sie. Jeden Mittag habe die Familie zusammen gegessen. Das sei ihr wichtig gewesen. "Das war eine wirklich glückliche Zeit."

Sigrid Schölzel sollte die einzige Tochter des Ehepaars bleiben. Und so war der Weg ins elterliche Unternehmen nicht verwunderlich. "Ich habe mich aber erst spät entschieden, hier mitzuarbeiten", sagt die heute 75-Jährige. 1972 starb der Firmengründer, Gerdi Benthack übernahm die Geschäftsführung. Und leitete nun mit der Unterstützung ihrer Tochter das Unternehmen. Noch heute haben die beiden Damen ein gemeinsames Büro im Verwaltungsgebäude von "Benthack Baustoffe". Einen schlichten Raum mit zwei Schreibtischen direkt gegenüber. Hier sitzen sie nun nur noch jeden Montag.

Bereits 1980 hatte Gerdi Benthack die offizielle Leitung der Firma an zwei Geschäftsführer übergeben. Seitdem fungiert sie als Beraterin. "Gerdi Benthack ist für uns alle ein Vorbild. Ich kenne keinen Menschen, der wie sie bis ins hohe Alter mit dieser Disziplin, Engagement und Freude durchs Leben geht", sagt Geschäftsführer Christoph Bauschen über sie. Und so kam sie auch nach ihrem offiziellen Rückzug noch viele Jahre lang täglich nach Billbrook.

"Weil wir für die Firma keinen direkten Nachfolger haben, gibt es seit 2005 die Henri-Benthack-Stiftung", sagt die Jubilarin. Eine Stiftung, die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen in der Baubranche fördert. Das Projekt liegt ihr am Herzen. "Diese Branche ist nun mal mein Leben", sagt sie.

Bis heute hat die alte Dame einen klar geregelten Tagesablauf. Seit vielen Jahren hat Gerdi Benthack eine Wohnung in einer Anlage für betreutes Wohnen. Jeden Morgen steht sie gegen 8 Uhr auf. Bereitet sich das Frühstück zu. Liest die Zeitung. Und vertritt sich auf ihrer Terrasse die Beine. Dreimal in der Woche kommt ihre langjährige Vertraute Uschi Baumann vorbei und unterstützt sie im Haushalt. Denn auch das Mittag- und Abendessen bereitet sich die alte Dame meist allein zu. "Es gibt Tage, da fühle ich mich mobil, und eben auch Tage, an denen ich ein wenig down bin", beschreibt sie ihr Leben. "Aber wenn man 100 Jahre alt wird und sich bewegen kann und umherlaufen kann, dann muss man froh sein."

Zufrieden wirkt Gerdi Benthack, wenn sie nach dem abschließenden Fototermin wieder mithilfe ihres Gehwagens an ihren Schreibtisch zurückkehrt. Zufrieden mit sich und ihrem erfüllten Leben. "Filmstar, das ist nichts für mich", sind ihre letzten Worte an diesem sonnigen Tag. "Da bleib ich doch lieber Baustoffhändlerin."