Die Debatte über die K-Frage in der SPD ist eröffnet. Je profilloser die Bundespartei wirkt, desto dringender braucht sie einen Mann mit Profil an ihrer Spitze

Schwarz-Gelb gedemütigt, die Mundwinkel der Kanzlerin fast auf dem Fußboden. Rot-Grün in Triumph-Stimmung, der parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann sagt seiner SPD eine "Kette von Wahlsiegen" voraus. Die mag bis zum September in Mecklenburg-Vorpommern, womöglich auch in Berlin, noch halten. Doch danach gibt es über ein Jahr lang keine Landtagswahlen mehr. Dann rückt schon die Bundestagswahl 2013 immer näher, dann drängen wieder Zahlen in den Blickpunkt, die für die SPD weitaus weniger erfreulich sind als die 38 Prozent von Bremen.

Diese Zahlen sind schon seit vielen Monaten ähnlich und stabil, am Wahlabend wurden sie im ARD-Deutschlandtrend aktualisiert. Danach gelingt es der SPD nicht, ihre Wahlerfolge, von Hamburg bis Bremen, in einen Vertrauensgewinn auf Bundesebene umzumünzen. Dort kleben ihre Umfrageergebnisse rund um die 25-Prozent-Marke fest, der Rückstand auf Angela Merkels Union scheint uneinholbar.

Allerdings, und das ist die zweite seit Monaten stabile Zahl, sind die Grünen so stark, dass Rot-Grün vor der Koalition aus CDU/CSU und der marginalisierten FDP liegt. Solange sie weiter zusammen mit den Grünen auf etwa 48 Prozent kommt, kann die bundespolitisch schwache, viel kritisierte SPD damit rechnen, den nächsten Bundeskanzler zu stellen.

Sie muss ihn dann aber auch stellen, das heißt: Sie muss bei Rot-Grün der stärkere Partner sein. Denn der letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder hat mit seiner Einschätzung recht, dass es "für die voraussehbare Zukunft" nicht zur Kanzlerschaft eines Grünen kommen wird. Die Wähler dürften es erst mal beim Experiment eines grünen Ministerpräsidenten bewenden lassen.

Auf den Kanzler, genauer: auf den Kanzlerkandidaten kommt es also an. Je profilloser die Partei wirkt, umso mehr persönliches Profil muss ihr Spitzenkandidat besitzen. Je weniger die Wähler ahnen, für welche Politik die SPD genau in der Regierung steht, desto mehr müssen sie vom SPD-Kanzlerkandidaten wissen, dass er das Regierungsgeschäft beherrscht.

Auch zu diesem Thema gibt es seit Langem stabile Umfragezahlen, ebenfalls am Wahlabend bestätigt: Wenn die Wähler den SPD-Bewerber aussuchen könnten, würden sie sich für Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück entscheiden, also die beiden sozialdemokratischen Kabinett-Stars in der Großen Koalition bis 2009. Diese beiden liegen mit Amtsinhaberin Merkel auf gleicher Höhe. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der dritte mögliche Bewerber, kann in den Augen der Wähler dagegen nicht mit Merkel mithalten.

Ein "Stein" soll es also sein. Steinmeier und Steinbrück schrecken bürgerliche Wähler nicht ab und würden ihnen den Abschied von Schwarz-Gelb leichter machen. Diesen Vorteil, kein Bürgerschreck zu sein, hatte 1998 Gerhard Schröder im Vergleich zu seinem innerparteilichen Rivalen Oskar Lafontaine. Ein Vorteil, der die Ablösung Helmut Kohls erst möglich machte.

Peer Steinbrück regt die politische Fantasie gewiss mehr an als der drögere Steinmeier. Andererseits: Dröge Pflichtmenschen, von Scholz bis de Maizière, sind in der deutschen Politik gerade Mode. Und Steinbrück ist bei SPD-Funktionären und Delegierten (nicht bei Mitgliedern und Wählern) vermutlich ganz besonders schwer durchzusetzen. Das hat sich nach seinem beherzten Vorstoß erwiesen, in dem er kürzlich seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt hatte. Da heulte die SPD-Linke auf. Als dann noch Schröder Steinbrück als "sehr, sehr gute Wahl" bezeichnete, war das wohl schon eine bewusste Provokation. Vielleicht, um seinem früheren Kanzleramtsminister zu nützen. Nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, freut sich Steinmeier.

Steinbrück hat die Kanzler-Debatte in der SPD jedenfalls ernsthaft eröffnet. Alle Mahnungen, es sei eine Debatte zur Unzeit, werden nichts mehr fruchten. Und die Parteiführung wird diese Debatte auch nicht mehr mit der Behauptung verwässern können, es gebe ja eine Vielzahl geeigneter Bewerber. Nein, es wird auf Steinbrück, Steinmeier oder Gabriel hinauslaufen.

"Was verboten ist, das macht uns gerade scharf", singt Wolf Biermann. SPD-Mitglieder, Politik-Beobachter und Journalisten werden ihm folgen und die Kandidaten-Debatte am Kochen halten. Es ist die für die Regierungsübernahme entscheidende Frage. Die SPD sollte sie nicht zu spät beantworten. Und wenn sie sich traut, die Antwort der Basis, auch Nichtparteimitgliedern, zu überlassen - dann wird der richtige "Stein" ins Rollen kommen.