Joachim Kersten ist Experte für Jugendgewalt. 1999 veröffentlichte er das Buch "Der Kick und die Ehre: vom Sinn jugendlicher Gewalt".

Hamburger Abendblatt: Woher kommt die Gewalt?

Joachim Kersten: Für die situative Gewalt gibt es viele Faktoren. Wie eine aggressive Grundstimmung, die auch jedes Wochenende in den Fußballstadien herrscht, aber von der Präsenz der Polizei größtenteils kontrolliert wird.

Warum gerade an U- und S-Bahnhöfen?

Kersten: Es liegt an der Architektur. Die U-Bahn-Prügeleien sind ein typisch deutsches Problem. Die Verkehrsbetriebe müssen etwas unternehmen, dass dieser Raum von Jugendlichen als Errungenschaft wahrgenommen wird und nicht als verachtungswürdig.

Schrecken die Überwachungskameras nicht ab?

Kersten: Nein. Es geht bei den U-Bahn-Prügeleien um den Mechanismus der unmittelbaren Verknüpfung zwischen Herabsetzung und Aggressionsausbrüchen, die man mit pädagogischem Gerede nicht eingrenzen kann. Die Bilder sind sehr schockierend. Denn reale Gewalt ist sehr hässlich und anders als die Darstellungen in Filmen und Spielen.

Warum hören die Jungs nicht auf, wenn einer am Boden liegt?

Kersten: Dann scheint die Grenze, die Hemmschwelle zur Gewalt, erst recht aufgehoben. Die Erregungsdynamik ist zu groß, Gewaltausübende sind dann enthemmt, und das war - entgegen der landläufigen Ideologie - immer schon so.