Wissenschaft ist Leidenschaft. Der Plagiator ist ein Pfuscher - und gehört enttarnt, sagt der Gutachter und Buchautor

Haben wir keine größeren Probleme als vergessene Anführungszeichen oder fehlende Fußnoten in Doktorarbeiten? Muss nun auch schon der Satz "Die Erde ist rund" mit einer Quelle belegt werden? Haben die Plagiatsjäger im Internet und anderswo nichts Besseres zu tun? Welche Motive treiben diese Leute an, sind es linke Denunzianten? Sind Plagiats-Wikis im Internet am Ende eine neue Form des Terrorismus, diesmal im Web 2.0?

Was ist so schlimm an einer Handvoll plagiierter Dissertationen, wenn in Deutschland jährlich rund 25 000 eingereicht werden? Und was ist eigentlich so schlimm an einem Plagiator, wenn er seinen Job gut macht, eloquent ist, gut aussieht und Menschen führen kann? Jeder Mensch macht doch mal Fehler, und es ist eigentlich nichts anderes als Beckmesserei, wenn man genüsslich die Fehler des anderen auflistet. Oder?

Dies sind die Fragen, die derzeit in der Plagiatsdebatte gerne gestellt werden. Ich möchte sie um einige weitere ergänzen. Möchten Sie - angenommen, Sie sind ernsthaft erkrankt - von einem promovierten Mediziner behandelt werden, der sich seinen Doktortitel erschlichen hat?

Oder möchten Sie, dass Ihr Kind im Bundeswehr-Einsatz unter einem Verteidigungsminister ist, der sich selbst eine "chaotische Arbeitsweise" attestiert und zugibt, den "Überblick verloren zu haben"? Und möchten Sie, dass Plagiatoren über die Zukunft Ihres Landes - also Ihre eigene Zukunft, etwa als Rentner, oder die Zukunft Ihrer Kinder - entscheiden?

Wenn Sie antworten, das sei alles nicht so schlimm, dann sollten wir uns über das Wesen des Plagiat(or)s unterhalten. Wenn jemand weite Teile seiner Doktorarbeit plagiiert - das heißt ungekennzeichnet und unbelegt von anderen abschreibt -, dann täuscht er vorsätzlich und handelt damit gegen die geltende Promotionsordnung, gegen hochschulrechtliche und möglicherweise auch urheberrechtliche Vorschriften, die er eigentlich kennen muss. Vor allem aber handelt er gegen grundlegende wissenschaftliche Arbeitstechniken und ist damit von vornherein ein Pfuscher.

Wer plagiiert, ist nicht auf einer Ebene mit dem Falschparker zu sehen oder dem, der bei der Steuererklärung ein klein wenig schummelt. Er ist auch mehr als bloß ein kleiner Ladendieb. Wer plagiiert, hat nicht nur keinen Respekt vor dem geistigen Eigentum anderer, der blendet und heuchelt methodisch, als "Serientäter": über Hunderte Seiten oder viele Monate lang.

Das wirft immer auch ein Licht auf den Charakter des Plagiators. Dieser handelt entweder aus Überforderung oder aus Unterforderung, wie ein österreichischer Kommentator einmal schrieb. Entweder ist er zu dumm, oder es ist ihm zu dumm.

Wer nicht in der Lage ist, ein wissenschaftliches Problem selbstständig zu durchdringen und in eigenen Worten eine Lösung vorzuschlagen, der sollte auch keinen Doktortitel tragen. Und wem es zu dumm ist, Hunderte Seiten wissenschaftlichen Text selbst zu schreiben, der ebenso.

Wissenschaft hat immer etwas mit Leidenschaft zu tun. Mit einer intellektuellen Lust daran, etwas Neues zu schaffen, unser wissenschaftliches Weltbild ein Stück weiter zu treiben, sei es theoretisch, sei es empirisch. Doktorarbeiten, die ausnahmslos anderes Wissen rezitieren, sind sinnlos und widersprechen der gesetzlichen Vorgabe über das Wesen einer Doktorarbeit. Doktorarbeiten, in denen auch noch methodisch plagiiert wird, machen die Wissenskultur kaputt und stellen manchmal auch Straftaten dar.

Die derzeit in den Medien diskutierten Fälle - Karl-Theodor zu Guttenberg, Veronica Saß, Matthias Pröfrock und Silvana Koch-Mehrin - sind nicht die Spitze des Eisbergs. Es sind zufällig jene Fälle, die im Gefolge des Schlüsselereignisses Guttenberg nun ans Tageslicht kommen.

Einige wenige empirische Untersuchungen und Schätzungen weisen darauf hin, dass es an Hochschulen in Deutschland jährlich mindestens 250 Fälle dieser Art gibt, vielleicht noch viel mehr. Haben wir kein Problem damit, dass die Unis in den vergangenen zehn Jahren womöglich Tausende falsche Doktoren hervorgebracht haben?

Wer plagiiert, der setzt sein Hirn in den Stand-by-Modus, der produziert eine "formale Diskurssimulation" (so ein GuttenPlag-Wiki-Aktivist) anstelle einer echten wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Menschen, die systematisch über lange Zeit Blendwerke erstellen, sind vielleicht auch sonst Blender. Will die Gesellschaft von Blendern regiert werden?

Stefan Weber, 40, ist Medienwissenschaftler und Plagiatsgutachter