Praktische Hilfen, Entschädigung und Schutz vor Rache der Täter: Die EU-Justizkommissarin über eine neue Initiative für Betroffene

Stellen Sie sich vor, Sie kommen in einer warmen Frühlingsnacht aus dem Kino, und auf dem Weg zur U-Bahn stellen sich Ihnen plötzlich zwei Männer in den Weg. Einer schlägt Ihnen auf den Kopf, während der andere Ihre Taschen durchsucht. Dann verschwinden sie, und Sie bleiben verstört und ohne Handy und Portemonnaie zurück. Erst langsam wird Ihnen klar, dass Sie soeben beraubt wurden. In nur wenigen Sekunden hat sich ein angenehmer Abend in einen Albtraum verwandelt.

Leider geschehen solche Szenarien täglich in Europa. Mehr als 75 Millionen Menschen und damit 15 Prozent der EU-Bevölkerung werden jährlich Opfer eines schweren Verbrechens.

Zurzeit unterscheidet sich der Umgang und Schutz von Opfern in der Europäischen Union immens. Manche Menschen bekommen nach einem Gewaltverbrechen keinen Rechtsbeistand, oder es wird ihnen für ihre Aussage kein Übersetzer zur Verfügung gestellt, wenn das Verbrechen in einem anderen Land stattgefunden hat. An wen sollen sich die Opfer wenden, um Unterstützung, Schutz oder Hilfe bei der Orientierung im Rechtssystem zu finden? Wie sehen ihre Rechte in den jeweiligen EU-Ländern aus?

Die Antwort der Europäischen Kommission auf diese Fragen besteht aus EU-weiten Mindeststandards, damit sich die Opfer auf Unterstützung und Hilfe verlassen können, sowohl bei einer Gewalttat in Südfrankreich als auch bei einem Überfall in Barcelona, Liverpool oder Hamburg.

Mit den neuen Maßnahmen, die an diesem Mittwoch vorgeschlagen werden, soll der Opferschutz EU-weit auf den gleichen Stand gebracht werden, damit Opfern von Verbrechen dabei geholfen wird, entschädigt zu werden und zu ihrem Recht zu kommen. Ob Überfall, Raub, Einbruch, Körperverletzung, Vergewaltigung, Belästigung, rassistische Übergriffe, Terrorangriffe oder Menschenhandel: Welcher Art das Verbrechen auch sein mag, das einen Menschen zum Opfer werden lässt, jeder hat dieselben grundlegenden Bedürfnisse.

Die Opfer von Verbrechen sollten mit Respekt und Sensibilität behandelt werden. Medizinische, psychologische, rechtliche und praktische Hilfe sollten bereitgestellt werden. Opfer sollten vor Gericht aussagen können, ohne Angst haben zu müssen, vom Täter eingeschüchtert zu werden. Was passiert bei Stalking-Fällen, wenn eine Frau eine Schutzanordnung bewirken konnte? Gilt diese Anordnung auch, wenn sie in ein anderes EU-Land umzieht?

Die EU-Kommission wird dafür Sorge tragen, dass diese Anordnung von anderen Mitgliedstaaten anerkannt wird, damit das Opfer auch dann geschützt ist, wenn es die Grenzen eines Landes verlässt. Opfer von Verbrechen wollen, dass Gerechtigkeit geschieht. Sie müssen damit abschließen können, um mit ihrem Leben weiterzumachen. Deshalb sollten sie wissen, wann der Prozess stattfindet, Reisekosten zurückerstattet bekommen und während des Prozesses auf Übersetzungen und Dolmetscher zugreifen können.

Die Geschichte der Europäischen Union zeigt, dass wir das Leben der Bürger tatsächlich verändern können, wenn wir zusammenarbeiten. Dieses Mal konzentrieren wir uns auf die Opfer, um sicherzustellen, dass sie die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, den Respekt, den sie verdienen, und die Rechte, die ihnen zustehen. Dies zu erreichen wird dabei helfen, das Vertrauen der Bürger in die Justiz und die verschiedenen europäischen Rechtssysteme zu stärken.

Auch wenn wir niemals in der Lage sein werden, das Leiden der Opfer ungeschehen zu machen oder ihnen das zurückzugeben, was sie verloren haben, so können wir doch ihre Enttäuschung und Verunsicherung nach dem Verbrechen verringern. Unser Ziel sollte sein, Opfer an erste Stelle zu setzen. Genau das verdienen sie und nichts weniger.

Viviane Reding, 60, ist EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. An diesem Mittwoch stellt sie die neue Initiative der EU der Öffentlichkeit vor, über die sie hier im Hamburger Abendblatt bereits vorab schreibt.