Um Verbrechen aufzuklären, ist die Vorratsdatenspeicherung unverzichtbar. Denn das Internet führt zu neuer Kriminalität, sagt der Hamburger Innensenator

Wir leben in einer Welt zunehmender Globalisierung und Vernetzung, begleitet von einem dynamischen Wandel in den Informations- und Kommunikationstechnologien. Kommunikation vollzieht sich in Sekundenschnelle - virtuell, ohne sichtbare physische Spuren im weltweiten Netz. Staat und Gesellschaft haben davon grundlegend profitiert. Die heutige wirtschaftliche Prosperität ist auch ein Ergebnis dieser rasanten technologischen Entwicklungen. Die Entwicklungen führen aber auch zu neuen Kriminalitätsphänomenen, zu veränderten Tat- und Täterstrukturen.

Die Nutzung der Kommunikationstechnologie ist Bestandteil von Kriminalität und berührt unsere Sicherheit. Betroffen sind zum Beispiel Deliktfelder wie

- das Phishing von legalen Identitäten und Zugangsdaten für massenhafte Computerbetrügereien mit hohen Schadenssummen,

- gezielte Hacker-Angriffe auf Unternehmen, Behörden (z. B. US-Pentagon) oder Staaten (Estland),

- Kinderpornografie,

- Menschenhandel, Schleusungen, Geldwäsche,

- Kapitalverbrechen, aber auch Terror-Anschlagsplanungen.

Kennzeichnend ist die Verlagerung von "konventionell" begangener Kriminalität auf die modernen Kommunikationsmedien. Das Internet bietet Kriminellen schnelle Kommunikation, Anonymität und Verschleierungsmöglichkeiten. Sicherheitsbehörden sehen sich in der Strafverfolgung, aber auch bei der Gefahrenabwehr vor zunehmende Herausforderungen und technische Probleme gestellt. Die Ermittlung von Tatverdächtigen, die nur in der virtuellen Welt Spuren hinterlassen, ist ohne eine Auswertung von Telekommunikationsdaten teilweise unmöglich.

Vor diesem Hintergrund hat die "digitale Spur" - damit meine ich Verkehrsdaten sowie Kunden- und Bestandsdaten zu den IP-Adressen der Internet-Kommunikation - als Beweismittel eine wachsende Bedeutung für effektive Kriminalitätsbekämpfung.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 zur "Vorratsdatenspeicherung" war ein gravierender Einschnitt. Damit hat das Gericht eine Regelung der Datenspeicherung und der Übermittlung der Daten an die Polizei für ungültig erklärt. Das Gericht sah grundlegende Anforderungen an Persönlichkeits- und Datenschutz als nicht realisiert an.

Ich halte eine Neuregelung für dringend geboten. Sie ist auch verfassungskonform möglich. Das Verfassungsgericht selbst hält eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten auch über einen Zeitraum von sechs Monaten für nicht grundlegend ausgeschlossen, sofern die Anforderungen an eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr in einen angemessenen Ausgleich mit den Persönlichkeits- und Datenschutzrechten gebracht und präzise geregelt werden.

Mindestspeicherfristen sind ein unverzichtbares Instrument für die wirksame Kriminalitätsbekämpfung. Untersuchungen des BKA und der Landeskriminalämter belegen eindrucksvoll, dass nach Wegfall der bisherigen Regelung eine Schutzlücke eingetreten ist: Schwerwiegende Straftaten können vielfach nicht oder kaum noch Erfolg versprechend aufgeklärt werden.

Andererseits ist in zahlreichen Fällen schwerer Kriminalität der Ermittlungserfolg nur möglich gewesen, weil erst über Telekommunikationsdaten wichtige Ermittlungshinweise gewonnen wurden.

Dabei ist ein mehrmonatiger Zeitraum einer zurückreichenden Datenspeicherung aus polizeifachlicher Sicht dringend geboten. Denn Straftaten werden sehr häufig erst mit Zeitverzug bekannt. Vor diesem Hintergrund halte ich eine gesetzliche Neuregelung für dringend erforderlich.

Einen entsprechenden Beschluss hat die Innenministerkonferenz bereits im November 2010 in Hamburg getroffen und das Bundesjustizministerium aufgefordert, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen. Die nationale Gesetzgebung hat hier eigene Handlungsspielräume, ohne den europapolitischen Kontext zu verlassen. Es liegt in der Hand der Politik, Handlungsspielräume auch zu nutzen.