Ein neuer jüdischer Stadtführer zeigt die Spuren der Geschichte, aber auch die aktuelle jüdische Szene der Stadt

Häuser, an denen uns beim Vorübergehen nichts auffällt, könnten ebenso Geschichten erzählen wie Straßennamen, über die wir uns kaum Gedanken machen. Das Gedächtnis einer Stadt ist lückenhaft, Gebäude werden abgerissen und durch neue ersetzt, Straßen werden umbenannt oder verschwinden ganz, und meist gerät dabei in Vergessenheit, welche Menschen hier gelebt und welches Schicksal sie geteilt haben. Fast wie ein Archäologe hat Michael Studemund-Halévy die Zeitschichten dieser Stadt erforscht, hat auf alten Plänen nach Gebäuden gesucht, längst verschwundene Straßenverläufe rekonstruiert, Adressbücher durchforstet und dabei Mosaikstein für Mosaikstein zusammengefügt, bis sich ein Bild ergab, das in klaren Umrissen zeigt, wo und wie seit 400 Jahren Juden in dieser Stadt gelebt haben.

Studemund-Halévy hat einen Führer durch das jüdische Hamburg geschrieben, der ab heute im Buchhandel erhältlich ist. Wir treffen ihn im Café Fankoni, dem einzigen koscheren Café Hamburgs, einem winzigen Lokal an der Renztelstraße 13. Vier Tische, eine kleine Theke, an der Wand zwei von Rabbinern ausgestellte Zertifikate, die bescheinigen, dass hier koscher gekocht wird. "Wird sind ein Milchcafé", sagt die unüberhörbar aus Russland stammende Kellnerin lächelnd, wobei sie allerdings nicht auf besondere Milchspezialitäten anspielt, sondern auf die strikte Einhaltung der religiösen Speisevorschriften.

Im Judentum unterscheidet man zwischen den drei Speisegruppen fleischig, milchig und parwe, womit neutrale Lebensmittel wie Gemüse, Eier und Getreide gemeint sind. Fleischige und milchige Speisen dürfen weder zusammen gegessen noch mit dem gleichen Geschirr gekocht oder serviert werden, was im Café Fankoni selbstverständlich auch nicht geschieht.

Dass der leckere Latte macchiato koscher ist, dürften auch Kenner kaum erschmecken. Der Autor nimmt einen Schluck, bevor er den Aufbau seines Stadtführers erklärt: "Wir haben dieses Buch als Lexikon gestaltet, denn das bietet die Möglichkeit, sowohl Ereignisse als auch Personen und Institutionen umfassend darzustellen." Neben zahlreichen, teilweise nie zuvor veröffentlichten Abbildungen enthält das Buch auch ein Kapitel zu den jüdischen Friedhöfen und einen Rundgang durch das Grindelviertel. "1840 lebten etwa 8000 Juden in Hamburg, 1933 waren es 23 000, von denen etwa 600 die Shoah in Hamburg überlebt haben", sagt Studemund-Halévy. Heute haben die jüdischen Gemeinden in Hamburg etwa 3000 Mitglieder, von denen viele aus den Ländern der früheren Sowjetunion stammen.

"Mein Buch richtet sich an alle, die sich für die Geschichte Hamburgs und seiner Juden interessieren, aber besonders auch an die neuen Mitglieder der jüdischen Gemeinden, die manchmal nur wenig über das jüdische Erbe ihrer neuen Heimatstadt wissen", sagt der Linguist und Romanist, der Mitarbeiter des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden ist.

Ein eigenes Kapitel hat er der Neugründung der Gemeinde im Herbst 1945 gewidmet, auch heutiges jüdisches Leben wird mit Bildern dokumentiert. "Mir war es wichtig, neben der Geschichte auch die Gegenwart darzustellen, zum Beispiel beim Rundgang durch das Grindelviertel, das früher Klein Jerusalem genannt wurde", sagt der Autor: Gleich nebenan gibt es die Weinhandlung Mezada, in der koschere Weine aus aller Welt zu haben sind. In einer Eisdiele am Grindelhof wird koscheres Eis angeboten, in den Kammerspielen gibt es die Bistro-Bar Jerusalem, am Grindelhof 59 das Café Leonar, und im Gebäude der Talmud-Tora-Schule werden wieder Kinder in einer jüdischen Schule unterrichtet. " Es ist anders als vor 1933, ich finde es aber wunderbar, dass es in Hamburg wieder eine jüdische Szene gibt", meint Studemund-Halévy, der froh darüber ist, nicht nur ein reines Geschichtsbuch geschrieben zu haben.

Michael Studemund-Halévy: "Im jüdischen Hamburg. Ein Stadtführer von A bis Z", Dölling und Galitz Verlag, 240 Seiten, 19,90 Euro