Fortsetzungsroman, Teil 2: Sechs prominente Hamburger Autoren taufen “Mein Schiff 2“ mit Sprache. Heute schreibt Manfred Bissinger über die heimliche Liebe eines verheirateten Romanautors

Was bisher geschah: Im ersten Teil ("Tristan, Isolde und die Mordgedanken") schrieb Michael Jürgs gestern über einen Autor, der die Eingangsszene für ein Ehedrama formuliert, das auf einem Kreuzfahrtschiff spielt und vielleicht mit Mord endet. Dann verabredet der Schriftsteller sich mit seiner Koautorin zu einer Liebesnacht ... Hier Teil 2 von Manfred Bissinger:

Er war lieber Gast bei ihr. Das befreite ihn von peniblen Aufräumaktionen, die schon mal notwendig geworden waren, wenn sie über Nacht bei ihm geblieben und überall, oft dachte er: absichtlich, ihre Spuren hinterlassen hatte. Vor allem seine Couchkissen oder seine mauvefarbene Bettwäsche zogen ihre blonden Haare geradezu magisch an. Es war ihm ein Albtraum, seine Frau könnte, wie in so manch billigem TV-Krimi, einen von Isoldes phänomenal großen Ringen, die mit Clips locker an ihren Ohren baumelten, in den Ritzen finden.

Er hatte sich immer viel Mühe gemacht, seine jeweiligen Beziehungen vor der Familie geheim zu halten und für den wöchentlichen gemeinsamen Abend mit Isolde ein Testspiel erfunden: Im Auftrag einer privaten Vermögensanlagegesellschaft müsse er speziell am Hafenrand, am Elbufer und im Kapitänsviertel von Blankenese für deren Kunden möblierte Apartments und Hotelzimmer auf Ausstattung und Behaglichkeit überprüfen.

Für ihn waren das ungefährliche Stunden, denn in diesen Teil Hamburgs würde sich seine Frau nie verirren. Sie war bekennende Eppendorferin. Schon der Weg nach Harvestehude war ihr ein Gräuel. Er liebte die nächtlichen Bettentests, besonders wenn sie ihn ins Treppenviertel führten und er den Blick über den Fluss in die untergehende Sonne genießen konnte. Die Elbe mit ihren geheimnisvollen Containerfrachtern und den heimkehrenden Kreuzfahrtschiffen.

Isolde und er schmiegten sich dann eng aneinander und dachten sich Geschichten über das Innenleben der vorbeiziehenden Kreuzfahrtschiffe und Container aus: vom Kaufmann aus Shanghai, der die verbotenen Antiquitäten als Büromöbel deklariert hatte, oder vom Zoohändler, der eine Fracht illegaler Echsen einschmuggelte, die ihm beim Öffnen allesamt ins Hafenbecken entfleuchten und noch Tage später die Musicalbesucher erschreckten. Es war ein wunderbares Vorspiel, mit dem sich bestens ablenken ließ von der todsicher auftauchenden Frage, wie es denn mit ihnen weitergehen sollte.

Er hatte extra für solche Abende im Internet eine Kühltasche ersteigert, um den von ihr so geliebten Rosé-Champagner in der richtigen Temperatur ausschenken zu können. Sie wurde dann schnell vergnügt und vergaß darüber die lästigen Fragen nach der Zukunft.

Genauso gerne wie im Mietapartment aber traf er sie in ihrer Wohnung, weil er dann in seiner Entscheidung frei war und das Haus verlassen konnte, wann immer er der Gemeinsamkeit müde wurde, und das war in den vergangenen Monaten immer öfter der Fall gewesen. Sie hatte es bemerkt, und so sann sie seit einiger Zeit darüber nach, wie sie ihn fester binden könnte. Sie wusste, dass er gern Geschichten erfand, sie zu Büchern verarbeitete, manche verkauften sich sogar erfolgreich. Also entwickelte sie die Idee des gemeinsamen Fortsetzungsromans, dessen Kapitel sie abwechselnd in den Computer tippten.

Sie hatten sich versprochen, damit auch die eigene Geschichte aufzuarbeiten und dem jeweils anderen das nächste Kapitel vorzulesen. So war der von ihr gewünschte Nebeneffekt eingetreten; sie mussten sich mindestens einmal die Woche verabreden. Diesmal in Isoldes Fünf-Zimmer-Altbauwohnung mit den herrlich hohen Decken, den fein ziselierten Stuckblumen in jeder Ecke, den Pitchpinedielen. Ihn faszinierten die farbig getönten Wände voller Bilder. "Leningrader Hängung", sagte sie gern, wenn er wie in einem Suchbild ein neues Detail in einem der Kunstwerke entdeckt hatte, die ihr meist von Künstlern geschenkt worden waren, an deren Ausstellungen sie irgendwie beteiligt war. Ja, die Kuratorin, die sie im gemeinsamen Fortsetzungsroman verkörperte, wäre sie gerne geworden, sie hatte auch Kunstgeschichte studiert, aber als sie ihren MBA gemacht hatte, war nur die Stelle der Assistentin des Museumschefs frei gewesen.

So wie er gerne Broker geworden wäre, es aber nach abgebrochenem Studium nur zum Journalisten gebracht hatte. "Leningrader Hängung", das bedeutete, die Werke waren neben-, über- und untereinander platziert, so wie eben in der Eremitage. Der Wohnung verliehen die aufregend bunten Wände ein ganz besonderes Flair. Auch er hatte schon so manche Grafik beigesteuert. Meist aus schlechtem Gewissen gekauft, wenn wieder mal ein Gespräch über die ungelöste Zukunft kein Ergebnis brachte und sie den Tränen nahe wissen wollte, warum er denn sein öfter angedeutetes und mehrfach gegebenes Versprechen nicht endlich einlösen wolle, erst mal mit ihr zu leben, um dann nach vollzogener Scheidung wieder zu heiraten.

Dabei hatte er doch so viele gute Gründe, die endgültige Trennung von seiner Frau hinauszuschieben, wobei die finanziellen gar nicht mal obenan standen. Er hatte sich emotional noch längst nicht von seiner Frau getrennt, obwohl sie kurz vor der silbernen Hochzeit standen, die Kinder aus dem Haus waren und das gemeinsame Leben in Routine versunken war. Die Zeiten für einen Neustart würden nie besser sein können. Es war erst wenige Tage her, dass Isolde, ja, das ist nicht nur im Roman, sondern auch im richtigen Leben ihr Name, zur Verabredung bei Vesuvio, ihrem Lieblingsitaliener, mit einem Rechtsanwalt im Schlepptau aufgetaucht war. Wie ein Automat rasselte der runter, wie einfach es doch inzwischen sei, sich scheiden zu lassen, und wie schnell es gehen könnte: "Sie sollten sich allerdings auf einen Versorgungsausgleich mit Ihrer Ehemaligen einigen", säuselte er, "vor Gericht kann das sonst lange dauern."

Er nickte, wohl wissend, ein solcher Ausgleich würde nicht leicht zu erzielen sein. Der Gedanke, die mühsam erschriebenen Euro über Nacht zu halbieren, schmerzte dann doch mehr, als er sich es selbst einzugestehen bereit war. Und wer sollte es seiner Frau verklickern, er traute sich das nicht. Das Gespräch endete wie so oft bei diesem Thema, beide waren unzufrieden.

Schon am nächsten Morgen führte ihn der Weg noch vor der Arbeit in eine Galerie in der Goldbachstraße. Isolde hatte da während ihres Studiums öfter ausgeholfen.

Aus dieser Zeit schätzte sie den Zeichner Horst Janssen, der mit seinen Selbstportraits, den Blumen, den Tieren, den Bildnissen seiner Geliebten der Liebling der Hamburger Gesellschaft war und ist. Diesmal wollte er für sie eine von Janssens erotischen Radierungen erwerben, die allerdings selten Hamburger Wände, dafür aber häufig Hamburger Schubladen bevölkerten. Mit seinem Wunsch konfrontiert, fragte der Galerist als Erstes, ob er denn wisse, dass Janssen gelegentlich auch als Autor brilliert und sogar einen "Porno" geschrieben habe - unter dem Titel "Die Litze".

"Nein", antwortete er verlegen, denn das war ein Genre, in dem er sich nicht zu Hause fühlte. "Sie werden sich wundern", orakelte der Galerist, und schließlich zog er mit der "Litze" von dannen. Der Text war von einer Klarheit und Kraft, dass ihm schon aus Vorfreude auf den gemeinsamen Lebensabend ganz warm wurde. Der Eingangstext hatte sich in seinem Kopf festgefressen: "... so liegen wir da - eingeschmust in unsere Freundschaft, befriedend in unseren Lüsten und in den Halbschlaf gelullt vom Summen der gleitenden Stunden."

Das müsste ihr gefallen, und vielleicht könnte sie darüber sogar vergessen, dass er zuvor beim Teller Spaghetti wieder mal die Antwort schuldig geblieben war.

Manfred Bissinger war u. a. stellvertretender Chefredakteur des "Sterns", Chefredakteur von "Konkret", "Merian", "Die Woche"

Morgen lesen Sie ...

... die Episode von Stefan Aust. Sie lesen von einer betrogenen Ehefrau, die der Affäre ihres Mannes auf die Schliche kommt, sein geheimes Manuskript liest und von der Angst befallen wird, Opfer einer Mordfantasie zu werden.