Abendblatt-Redakteur Andreas Dey über die Finanzprobleme des Senats.

Im Jahr 1979 amüsierte ein fusselbärtiger Hamburger die Menschen mit einem hintersinnigen Liedchen: "Das macht doch nichts, das merkt doch keiner", schnurrte Hans Scheibner über Ehebrecherinnen, Umweltverschmutzer und Steuerhinterzieher. Am Donnerstagvormittag wurde Scheibner, inzwischen 73 und mit grauem Bart, von Ole von Beust für seine Verdienste um die Kultur ausgezeichnet. Zufall? Im Nachhinein wirkt es wie die Ouvertüre zu dem Tag, an dem Ole von Beust von dem politischen Prinzip "Das macht doch nichts, das merkt doch keiner" Abschied nahm. Jedenfalls offiziell.

Denn nur wenige Stunden später eilte der Bürgermeister in den schlichten Sitzungsraum 116 in der Finanzbehörde, um via Medien Ungewöhnliches zu verkünden. Dass es der Stadt finanziell schlecht geht, war nicht neu. Dass gespart werden muss, auch nicht. Dass es um ein Loch von anfangs gut 500 Millionen Euro pro Jahr geht, stand an dem Tag schon im Abendblatt. Dass es von 2014 an sogar eine Milliarde pro Jahr sein wird, sorgte schon für Aufsehen. Aber wirklich ungewöhnlich war das Eingeständnis des Bürgermeisters, den Menschen finanzpolitisch Jahre lang etwas vorgegaukelt zu haben.

"Wir haben in Hamburg Jahrzehnte über die Verhältnisse gelebt, leben immer noch über unsere Verhältnisse und haben strukturelle Probleme im Haushalt, die gigantisch sind", sagte Beust. Die ohne Neuverschuldung ausgeglichenen Haushalte 2007/2008 habe man "erkauft" durch Grundstücksverkäufe und "kreative Bilanzierung". Ein vernichtendes Urteil über die eigene Politik des "Das merkt doch keiner", vor allem aber über den damaligen Finanzsenator, Beusts CDU-Parteifreund Michael Freytag. Den Namen umging der Bürgermeister zwar, aber sein Hinweis, Freytags Vorgänger Wolfgang Peiner habe durch eisernes Sparen wenigstens dafür gesorgt, dass das Defizit jetzt nicht noch viel größer sei, sagte alles.

Dass Peiner seinen Nachfolger in der Finanzbehörde stets für ungeeignet hielt, ist bekannt. Dass Beust, der stets seine schützende Hand über Freytag hielt, ebenso über seinen langjährigen Weggefährten denken könnte, ist neu. Dabei dürfte sich der Bürgermeister am Donnerstag noch auf die Zunge gebissen haben. Denn in den Sitzungen des Senats am Dienstag im Gästehaus an der Schönen Aussicht waren noch viel deutlichere Worte gefallen. Der neue Finanzsenator Carsten Frigge habe daran erinnert, dass Freytag ihm bei der Amtsübergabe am 1. April - kein Scherz - eine goldene CD mit dem ausgeglichenen Haushalt 2007/2008 überreicht habe, quasi als Vorbild für seriöses Wirtschaften. Die aktuelle Lage, die er dann vorgefunden habe, sei aber eine andere gewesen als erwartet, so Frigge nach Berichten aus Teilnehmerkreisen. Gemeint war, dass Freytag ihm einen Scherbenhaufen hinterlassen habe.

So dramatisch sei die finanzielle Situation der Stadt, dass akuter Handlungsbedarf bestehe. Viel Zeit wurde nicht verloren. Bevor am Donnerstag um 12.30 Uhr die Öffentlichkeit informiert werden sollte, unterrichteten Beust und Frigge noch am Morgen die CDU-Fraktion, während GAL-Fraktionschef Jens Kerstan seine Leute ins Bild setzte. Die enge Taktung sollte dafür sorgen, dass die brisanten Fakten nicht vorher durchsickerten - was nur zum Teil gelang. "Beusts 500-Millionen-Loch", stand schon am selben Tag auf dem Abendblatt-Titel.

An die merkwürdig einseitige Sichtweise, alle Probleme zumindest indirekt dem abgetretenen Finanzsenator in die Schuhe zu schieben, halten sich aber alle Beteiligten. "Mit dem Weggang von Wolfgang Peiner gingen die Schleusen wieder auf", sagt ein Abgeordneter der Koalition. Frigge, so wird übereinstimmend gelobt, wolle endlich richtig aufräumen, ohne dabei nur seine Karriere im Blick zu haben. "Das war bei Freytag anders", heißt es. Ein anderer will oft vor neuen Ausgaben gewarnt haben, aber Freytag, der machtbewusste CDU-Chef, habe stets geantwortet, das gehe schon noch.

So einheitlich die Darstellungen sind, so sehr werfen sie doch ein Frage auf: Wo war der Bürgermeister? Musste er nicht informiert sein, wie es um den Haushalt bestellt ist? Kann er, wie im Oktober 2007, mit seinem Finanzsenator im Kameralicht das "Ende der Schuldenpolitik" und die symbolische Tilgung einer Million Euro verkünden, ohne zu wissen, wie das alles zustande gekommen ist? Kann ein einziges Senatsmitglied allein den Haushalt an die Wand fahren, ohne dass der Senatschef es mitbekommt?

Die nächste Glaubwürdigkeitsfrage steht schon an. "Es gibt keine Tabus", verkündeten Beust und Frigge zum bevorstehenden Sparkurs. Am selben Tag kam jedoch heraus, dass allein die Baukosten für die Schulreform von 200 auf 400 Millionen Euro steigen werden. Zwei Tage zuvor war die Einstellung von 970 zusätzlichen Lehrern verkündet worden - beide Maßnahmen sind nicht zwangsläufig und unumkehrbar, sondern sind dem politischen Vier-Parteien-Kompromiss geschuldet, der den Reformgegnern den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Dennoch heißt es aus dem Senat klar: An der Schulreform wird nicht gespart. Also doch ein Tabu. Zweites Beispiel: Beim Richtfest für die Elbphilharmonie am Freitag bat Beust die Gäste, "nicht nur die Kosten", sondern auch die Vorteile des Baus zu sehen. Gespart wird daran natürlich nicht. Noch ein Tabu. Drittes Beispiel: Der Hamburger Verwaltung mit ihren 70 000 Mitarbeitern dürfte im Zuge der Sparrunden zwar kräftig schrumpfen. Aber die, die bleiben, müssen sich wenig Sorgen machen. "Die Mitarbeiter der Stadt sind keine Sparschweine", stellte der Bürgermeister klar. Noch ein Tabu.

Stellt sich die Frage, was "keine Tabus" eigentlich bedeutet. Nicht auszuschließen, dass es wieder nach Hans Scheibner läuft: "Das macht doch nichts, das merkt doch keiner ..."