Klaus J. Bade, 66, leitet den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration.

Hamburger Abendblatt:

1. Laut Statistischem Bundesamt sind im vergangenen Jahr 721 000 Personen eingewandert, aber 734 000 ausgewandert - darunter 155 000 Deutsche. Tickt da eine demografische Zeitbombe?

Klaus J. Bade:

Deutschland ist ein demografisch vergreisendes und langfristig schrumpfendes Migrationsland. Abnehmende Zuwanderung und zunehmende Abwanderung von Menschen im besten Erwerbsalter, von Einzahlern also, verschärfen den Druck auf die Sozialsysteme.

2. Zuwanderung kann ein Land aber doch auch bereichern, wenn sich dort talentierte Menschen mit ausländischem Know-how niederlassen.

Und ob. Aber wir haben herausgefunden, dass die Qualifikation der Abwanderer höher ist als die der Zuwanderer. Das heißt: Ein Braindrain droht nicht - er läuft bereits. Das heißt: Wir brauchen also mehr qualifizierte Zuwanderer.

3. Von den 734 000 Menschen, die im vergangenen Jahr laut Statistik ausgewandert sind, handelte es sich bei 579 000 um Ausländer. Gefällt es denen denn nicht in Deutschland?

In diesen Zahlen stecken viele Zuwanderer mit Zeitverträgen, beispielsweise Erntehelfer. Die meisten von denen haben bei ihrem Zuzug gar nicht geplant, dauerhaft hier zu leben.

4. Warum kehren denn so viele Deutsche ihrer Heimat den Rücken?

Viele abhängig beschäftigte Abwanderer klagen über die steilen Hierarchien in deutschen Betrieben, über die unbefriedigenden Aufstiegschancen und eine mangelnde Leistungsgerechtigkeit. Selbstständige flüchten dagegen vor Überregulierung und zu hohen Steuern. Und gut Verdienende aus beiden Gruppen sind sich darin einig, dass sie die deutsche Neidkultur nicht mögen: Im Gegensatz zu den USA wird hier beispielsweise ein guter Verdienst oft nicht als Zeichen von Leistung honoriert.

5. Was können denn Politik und Unternehmen tun, um diesen Trend umzudrehen?

Die Steuerung von Migration in Europa greift nicht mehr, es gilt ja das Prinzip der Freizügigkeit. Stattdessen muss Deutschland attraktiver werden, damit Qualifizierte bleiben und andere Leistungsträger kommen - obwohl im Ausland ein Deutschlandbild existiert, das nicht gerade verlockend ist. Da sei nur das verbreitete Stichwort Ausländerfeindlichkeit genannt. Wer fragt: "Darf man nach Deutschland zuwandern?", der hört von den Behörden erst mal ein "Nein" und dann erst die Ausnahmeregeln. Das wirkt nicht sehr anziehend auf Interessierte. Wer dagegen fragt, ob er in die USA zuwandern darf, dem sagen die Amerikaner erst mal "Ja" und formulieren dann knallhart ihre Bedingungen.