Mehr Wettbewerb hält der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts für nachhaltiger als mehr Regulierung

Welch fragwürdige Rolle die Ratingagenturen bei der Finanzmarktkrise gespielt haben, ist dieser Tage im amerikanischen Kongress beim Skandal um Goldman Sachs einmal mehr offenbart worden. Vorgeworfen wird ihnen, fehlerhafte Bewertungsmodelle angewendet zu haben. Schlimmer ist die Vermutung, dass Ratingagenturen als Schiedsrichter mit den Spielern unter einer Decke gesteckt haben und es zu Gefälligkeitsurteilen gekommen sei.

Dass die Ratingagenturen kläglich versagt haben, ist keine Neuigkeit. Wut und Ärger auf sie steigen jedoch, weil sich seit der Finanzmarktkrise bisher offenbar wenig geändert hat. Trotz der Mitverantwortung beim Entstehen der Krise gehören die Ratingagenturen unverändert zu den wichtigsten Akteuren der Finanzmärkte. Das hat sich gezeigt, als die Herabstufung Griechenlands auf Ramschniveau an den Finanzmärkten eine Panik auslöste. Weil gleichzeitig auch Spanien und Portugal schlechte Noten erhielten, drohte ein Flächenbrand. Nur die Aufstockung der üppigen Hilfe für Griechenland konnte den Brandausbruch (vorerst) verhindern. Erneut haben die Ratingagenturen mit ihren Bewertungsänderungen zur Krisenverschärfung statt zur Krisenverhinderung beigetragen. Erneut haben sie politische Reaktionen erzwungen. Erneut hat die Politik mit staatlichen Hilfen reagiert. Und erneut konnte, wer auf den zu erwartenden pawlowschen Reflex der Politik setzte, mit Wetten auf Kosten der Steuerzahler(innen) viel Geld verdienen.

Ist die aktuelle Kritik an den Ratingagenturen tatsächlich nur fadenscheinig und wird hier der Überbringer schlechter Nachrichten geprügelt? Nein! Ganz offensichtlich und ganz grundsätzlich sind Ratingagenturen nicht in der Lage, den von ihnen erwarteten Aufgaben gerecht zu werden. Sie liefern keine brauchbaren Informationen zur Früherkennung von Problemen. Sie sehen Krisen nicht im Voraus, und sie reagieren nur im Nachhinein. Zudem droht die Gefahr, dass die von ihnen ausgesendeten Informationen Krisen verursachen. Das sind grundsätzliche Probleme, die nur am Rande durch eine aus allen Ecken zu hörende Forderung nach besserer oder strengerer Regulierung behoben werden können. Deshalb hilft auch eine Europäisierung der Ratingagenturen nicht wirklich weiter.

Natürlich zielt die Absicht, die Finanzierungsgrundlage der Ratingagenturen zu ändern, in die richtige Richtung. Eine vom Aktienhandel durch eine Pflichtabgabe zu erbringende Umlage, in die alle einzahlen müssen, die an Bewertungen durch unabhängige Ratingagenturen interessiert sind und davon profitieren, könnte ein erster Schritt sein. Eine Offenlegung der Bewertungsmodelle und eine strengere Aufsicht über Interessenverflechtungen der Ratingagenturen sind weitere. Wichtiger wäre es, die Agenturen für ihre Bewertungen in Haftung zu nehmen. Bei Fehlern sollen sie verklagt werden können, um Schadenersatzforderungen zu ermöglichen.

Besser und längst überfällig wäre es, ganz grundsätzlich die Ratingagenturen von ihrem nahezu hochrichterlichen Ross der Unfehlbarkeit herunterzuholen und sie zu ganz normalen Mitspielern auf dem Parkett der Finanzmärkte zu degradieren. Denn - und in diesem Punkt darf man nicht ungerecht sein - von den Ratingagenturen wird etwas erwartet, was sie schlicht nicht zu leisten im Stande sind. Sie müssen bewerten, was trotz aller komplexer mathematischer Verfahren und Modelle nicht bewertbar ist. Denn im Kern haben nicht (nur) die Ratingagenturen versagt. Die internationalen Bilanzierungsstandards haben den Praxistest nicht bestanden und sich als ungenügender Bewertungsmaßstab erwiesen. Deshalb greift auch die Idee zu kurz, die Notenbanken an die Stelle der privaten Ratingagenturen zu setzen.

Letztlich ist nur eine Entmachtung der Ratingagenturen zielführend. Sie dürfen für die Entscheidungsbildung auf den Kapitalmärkten nicht mehr die herausragende Rolle spielen wie in der Vergangenheit. Ihre Urteile sollen nur noch zu einer Meinungsäußerung von mehreren werden, auf die hören mag, wer will. Zur Entmachtung gehört auch eine Zerschlagung des bestehenden Oligopols. Ein Oligopol, das den drei großen Ratingagenturen einen Marktanteil von etwa 95 Prozent sichert und hohe Gewinnmargen garantiert, muss mit wettbewerblichen Maßnahmen zerschlagen werden. Ein intensiverer Wettbewerb ist die letztlich erfolgreichere Strategie, den Einfluss der Ratingagenturen zu brechen, als mit immer größerem Kaliber der Regulierung am eigentlichen Ziel vorbeizuschießen.