Hamburger Abendblatt:

1. Es scheint, als würden Jugendliche immer gewalttätiger, die Taten immer brutaler. Stimmt das eigentlich?

Udo Nagel:

Seit zwei Jahren verfolge ich die Fallzahlen nicht mehr so intensiv, doch tatsächlich hat seit Mitte der 90er-Jahre die Zahl der Gewaltdelikte, also etwa Körperverletzung und gefährliche Körperverletzung, durch Jugendliche deutlich zugenommen. Mehr Jugendliche werden gewalttätig - und dazu gibt es natürlich immer wieder besonders gravierende Fälle wie jetzt am Jungfernstieg, die dann umfassend in den Medien behandelt werden. Was allerdings auch gesagt werden muss: Nach wie vor neigt nur ein Bruchteil der Jugendlichen zu Straftaten. Wir dürfen "die Jugend" wirklich nicht pauschal beschuldigen.

2. Wie ist es zu erklären, dass einigen Gewalttätern offenbar jede Hemmschwelle abhandengekommen ist?

Es ist und bleibt so: Killerspiele und Gewaltvideos tragen gewiss einen großen Teil dazu bei. Menschen, die ab und zu einen Horrorfilm sehen, werden davon nicht zu Killern. Doch wenn Jugendliche, und das ist leider ein häufiges Phänomen, täglich stundenlang Killerspiele spielen oder sich Gewalt anschauen, dann hinterlässt das Spuren. Ich kenne Fälle, in denen Täter einfach mal in der Realität ausprobieren wollten, was sie vorher immer wieder gesehen haben.

3. Was ist nötig, um Intensivtäter zurück auf den richtigen Weg zu bringen?

Ganz klar: schnelle, harte Strafen und Therapieangebote. Gerade diese jungen Täter müssen spüren, dass sie für von ihnen begangene Taten büßen müssen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Tat und Strafe gibt. Diese Einsicht bringt aber nur bedingt etwas, wenn wir nicht auch Therapieangebote bereithalten, die den Jugendlichen helfen, eine Perspektive zu entwickeln.

4. Lassen Konsequenz und spürbare Strafen zu lange auf sich warten?

Ich glaube ja. Kuschelkurs ist bei bestimmten Tätertypen nicht mehr angezeigt. Repression ist auch eine Form von Prävention. Und ich bin ein klarer Verfechter des Präventionsgedankens. Natürlich muss man für konsequente Strafverfolgung auch genügend finanzielle Mittel und Personal zur Verfügung stellen. Sonst kann das Prinzip nicht funktionieren.

5. Ist der viel beschworene Präventionsgedanke der Schlüssel zum Erfolg?

Langfristig gesehen ja. Mittelfristig wird Prävention allein keine Verringerung der Fallzahlen bewirken. Wenn ich jetzt bei Grundschülern mit Präventionsprogrammen ansetze, kann ich erst in rund zehn Jahren mit Ergebnissen rechnen - nämlich dann, wenn diese Kinder ins kritische Alter kommen.