Groß, blonde Locken, freches Mundwerk. Markenzeichen des Über-Moderators. Thomas Gottschalk wird heute 60 Jahre alt.

Alle große Kunst muss leicht aussehen. Niemand möchte einem Balletttänzer die Mühe des Stemmens ansehen oder einem Pianisten das jahrelange Üben. Was aber braucht ein großer Entertainer? Sprüche, Spontaneität, Schlagfertigkeit und die Kunst, das Publikum nicht nur mitnehmen, sondern mitreißen zu können. Thomas Gottschalk beherrscht all das spielend. Und was das größte Wunder ist: Er muss dafür weder stemmen noch üben. Er ist so. Es fließt so aus ihm heraus. Zumindest tat es das viele Jahrzehnte.

Wenn Thomas Gottschalk heute 60 Jahre alt wird, hat er zwei Drittel seines Lebens in der Unterhaltungsbranche verbracht. Vor 40 Jahren war er der erste freche Rundfunkmoderator, danach hat er eine beispiellose Karriere im deutschen Fernsehen gemacht. Er hat Hunderte von TV-Shows moderiert, war "Late Night"-Talkmaster, hat unernste Filme gedreht, unfassbar viele Galas präsentiert, TV-Specials zusammengestellt, war Werbestar der Post und von McDonalds. Er ist die Allzweckwaffe des Fernsehens, einer der wenigen A-Prominenten, die Deutschland hat. Der Mann, dem fast alles zu gelingen scheint, dank seiner Schlagfertigkeit, seines Optimismus und der Fähigkeit, mühelos den Massengeschmack zu treffen. Bei ihm sieht alles leicht aus, ohne ins Seichte abzurutschen.

"Ich habe fünf Wettkandidaten, die Dinge tun, die keiner braucht", beschrieb er im vergangenen Jahr sein Moderationsprinzip, "habe fünf Gäste, die jeder gerne sieht. Und ich habe einen lustigen Anzug mit Trachtentouch, daraus machen wir eine Sendung. Worauf soll ich mich da vorbereiten?"

Anscheinend ist Gottschalk noch der Gleiche, der er immer war. Sunnyboy und Spaßmacher, Plauderkönig und Pfau. Blitzschnell, schnodderig, flapsig. Hinzugekommen sind nur die Zeichen des Alterns. Aus dem Jungen mit der gold gelockten Frisur, die, wie er sagt, "so in der Natur nicht vorkommt", ist der Junge mit Falten geworden. Ein 60-Jähriger, der für Gummibärchen wirbt. Ein Widerspruch. Wie vieles an dem Mann, der so gewinnend ist, weil er so authentisch wirkt. Der Typ, der wie der sympathische Nachbar rüberkommt, lebt weit weg vom deutschen Alltag oder abgeschirmt in Limousinen, Flughafen-Lounges und Vip-Garderoben. Er ist der Ein-Mann-Unterhalter, der die größten Hallen für seine Auftritte braucht. Er serviert platte Gags und ist der letzte Fernsehgigant, dem man seine Staatsexamina für Deutsch und Geschichte anmerkt. Den Qualitätsschulterschluss mit Marcel Reich-Ranicki beherrscht er ebenso wie die Conférence bunter Abende.

Macht es ihm wirklich noch Spaß, in absurden Bekleidungen "Guten Abend" zu rufen, und dann folgt der Name einer Stadt wie "Leipzig" oder "Kiel"? Ist der "König der Sonnabendabend-Fernsehshow", der Entertainer, den 98,9 Prozent aller Deutschen kennen, zu seinem eigenen Denkmal geworden? Lebt er einfach seinen Traum zwischen Bayreuth, Familienleben und Fans, schönen Autos und ewig schönem Wetter? Oder ist er zum perfekten Verkäufer des Modells Gottschalk geworden, das für Harmonie und Harmlosigkeit steht, für Gelingen und gute Laune?

Möglicherweise ist er mit den Jahren zögerlicher geworden, dünnhäutiger, scheuer und vorsichtiger. Wer wie eine Statue behandelt wird, entwickelt sich allmählich zu einer. Seine Quoten sind erst wieder mit der Komoderatorin Michelle Hunziker gestiegen. Vor zehn Jahren spielte er in Helmut Dietls Fernsehsatire "Late Night" einen Radiomoderator, also mehr oder weniger sich selbst. Nur: Da gab es nicht viel zu spielen, keine Tiefe, nichts, was man über den öffentlichen Auftritt hinaus hätte erkennen können.

Möglicherweise ist er heute oft nur noch der Darsteller desjenigen, der er einmal war. Aber als dieser hemmungslos fröhliche Typ, als der er das Fernsehpublikum vor Jahrzehnten erobert hat, ist er immer noch einzigartig, unerreicht und ohne Nachfolger. Keiner ist so frech und dabei lustig und gerade richtig gebildet, ohne naseweis zu wirken. Gottschalks Nachfolger sind prollig oder peinlich, flach oder farblos. Es fehlt ihnen an Charme und Chuzpe, Witz und Wahnsinn. Genau deshalb sind sie keine Nachfolger. Worüber würde man einen Abend gerne mit Raab oder Kerner, Bohlen, Schreyl oder Geissen reden? Na, bitte. Mit Gottschalk wäre das kein Problem. Bei ihm fühlt man sich gut aufgehoben. Vielleicht ist das eines seiner Geheimnisse, dass er jedem das Gefühl gibt, er würde ihn vom Katzentisch wegholen oder er könne jeden Abend - egal, ob es das Jahrestreffen der Griechischlehrer oder das der Toilettenfrauen ist - zum Kracher werden lassen. Thomas Gottschalk könnte man morgens um drei Uhr wecken und er wäre in der Lage, eine gut gefüllte Mehrzweckhalle zum Toben zu bringen. Von null auf hundert in fünf Sekunden.

Gut möglich, dass er seinen Lebenstraum verwirklicht hat, als er vor 15 Jahren in die USA übersiedelte. "In Amerika kann man alt werden, ohne erwachsen werden zu müssen", hat Gottschalk damals gesagt. "Hat Gottschalk das Peter-Pan-Syndrom?", ist sein langjähriger Weggefährte Fritz Egner gefragt worden. Egners Antwort lautete: "Mag sein, aber der Thomas arbeitet auch in der Peter-Pan-Industrie."

Dabei ist Gottschalk kein unreifer Kind-Mann, sondern der verantwortungsvollste Mensch, den man sich vorstellen kann. Trifft Verabredungen selbst, ohne seine Frau vorher fragen zu müssen, grillt für Kinder, organisiert den Alltag. Möglich, dass sich das in den letzten Jahren geändert hat. Erfolg schafft große Formen, in die man hineinwachsen muss, ob man will oder nicht. Gottschalk, das war einmal der Vater, der sich in den Schulen seiner Söhne engagiert, der Typ, der gerne in Shorts Rippchen essen geht, der ein bisschen Sport macht, ansonsten aber das Leben genießt. Heute sind die Kinder groß, und der Erfolg hat ihn so weit nach oben gespült, dass ein Alltagsleben in Deutschland für ihn schon lange nicht mehr gilt. Und in Malibu gibt es so etwas wie Alltag erst gar nicht.

Niemand will alt aussehen. Schon gar nicht im Fernsehen. Dort lebt man davon, dass man für Schönheit und Perfektionismus vor der Kamera mit Schäbigkeit und Hässlichkeit hinter den Kulissen bezahlen muss. Das Fernsehen ist da nicht anders als das Theater: Vorn rauschen die Kleider und tanzen die Mädchen im Lichterglanz, hinten beleuchtet die zuckende Neonlampe den Linoleumfußboden, und aus dem versifften Raucherzimmer dringt abgestandener Qualm. Für jede Minute Unterhaltung, die die Zuschauer geliefert bekommen, verbringen die Künstler Stunden der Wartezeit in einsamen Hallen bei Schokoriegeln und Brötchen, deren Belag sich allmählich wellt.

Natürlich nicht, wenn man Gottschalk heißt. Da sitzen Lichtdoubles die Proben ab. Und Gottschalk kommt, wenn's losgeht. Präzise wie eine Schweizer Uhr wärmt er das Publikum vor der Livesendung vor. Vorbereitung? Braucht er nicht. Noch zehn Minuten vor Sendebeginn von "Wetten, dass .." könne ihn seine Frau anrufen und ihn bitten, den Klempner zu benachrichtigen, weil zu Hause ein Rohr gebrochen sei, hat er einmal erzählt. Den Anruf würde er dann schnell noch machen. Lampenfieber kennt er nicht.

Groß, blond, braun gebrannt und meist großmustrig gewagt gekleidet war der junge Gottschalk schon, als er "Pop nach acht" zur beliebtesten Musiksendung des Bayerischen Rundfunks in den 70er-Jahren quatschte. Was bei jungen Leuten vielleicht ganz lustig aussieht, wirkt bei älteren Menschen dann allerdings leicht schrill: der Schottenrock, die Biker-Hose, die goldenen Schuhe und das gelbe Hemd mit Betty-Boop-Muster gingen bei jedem anderen Menschen nur als Garderobenunfall durch. Gottschalk hat es trotzdem geschafft, dass man die ästhetisch herausfordernde Kleidung, mit der er - mit Unterbrechungen - seit 1987 im ZDF "Wetten, dass ..?" moderiert, als Teil des Sendekonzepts betrachtet. Obwohl sie ganz und gar seinem persönlichen Geschmack geschuldet ist.

Nicht nur den körperlichen, blonden Merkmalen nach gehört Thomas Gottschalk zu jenen Strahlemännern, die man gewöhnlich mit kalifornischen Beach Boys assoziiert. Sportliche junge Kerle, die nur wenig anderes als Surfen im Kopf haben, morgens und abends, im Sommer wie im Winter. Auch wesensmäßig scheint Gottschalk viel mit den Wellenreitern zu verbinden, Jungs, die unkompliziert sind, unbekümmert, unerschrocken. Die gerne auffallen. Und ganz sicher keine Typen sind, mit denen man sich über Algorithmen unterhalten muss, wenn man auf einer Party gerade tanzen will.

Thomas Gottschalk, der aus Kulmbach stammt, dort wo Bier und Backen, Fachwerk und Frankenwald zu Hause sind, passt haargenau nach Malibu und seine Strände, die Zuma Beach heißen oder Pirate's Cove. Dorthin geht man, wenn man seine Träume verwirklichen will. Gottschalk allerdings hatte seine Träume schon verwirklicht, als er in Südkalifornien ankam. Er war der Moderator geworden, der Europas größte Livesendung stemmen konnte, er war der letzte Mohikaner in der Tradition großer Fernsehunterhaltung. Er war Werbe-Ikone und einer der bekanntesten Menschen des Landes.

Wie lange lässt sich so etwas erhalten? Wohin kann es von dort noch gehen? Eigentlich nur nach unten. Es sei denn, man erfindet sich neu. Doch leider geht das nicht, wenn sich der Erfolg darauf gründet, dass man so ist, wie man ist: bodenständig, wurschtig, optimistisch. Ein Kerl, der jedem Menschen, der ihn anspricht, zuhört. Egal, ob ihm jemand ein Kind entgegenhält, mit dem er sich fotografieren lassen soll, oder ob er Dutzende von Autogrammen unterschreiben muss mit immer neuen Widmungen. Seine oberste Regel lautet: "Die Fans sind die Menschen, von denen ich lebe, da möchte ich freundlich sein." Aber auch hier gilt natürlich, dass die Jahre, die man von Fans belagert, angefasst und angesprochen wird, nicht spurlos vorübergehen. Aber die Freude darüber kann nur noch gespielt wirken. Abtreten kann er trotzdem nicht. Vielleicht hat er keinen anderen Entwurf für sein Leben als den des jungenhaften Unterhalters. Und warum sollte er auch? Wo doch alle Fernsehsender von ARD bis RTL Ausnahmetalente wie ihn händeringend suchen.

Vielleicht ist die Antwort ganz einfach: "Ich eiere durch ein Fußballinterview mit Ribéry, das überflüssig ist, weil ich keine Ahnung von Fußball habe. Ich singe mit Villazón, obwohl ich nicht singen kann. Und ich fasse Frau Cattrall ans Bein, obwohl sie mir egal ist", hat er einmal gesagt. Genau das ist aber die hohe Kunst des Entertainers: reden über Nichts, Situationskomik und flirten. Kennen Sie irgendjemanden, der das müheloser beherrscht? Vor zehn Millionen Zuschauern?