Frau und Mann, Ost und West, Gewerkschaft und Stasi - gegensätzlicher könnte die neue Doppelspitze der Linken aus Gesine Lötzsch und Klaus Ernst kaum sein

Politik sei nichts für Sensibelchen, hat Gesine Lötzsch mal gemeint. Damals, als sie wie eine Aussätzige im Bundestag ganz hinten sitzen musste, fraktionslos, weil die PDS an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war. Drei Jahre hat sie auf diesem Präsentierteller verbracht, gemeinsam mit der Kollegin Petra Pau, bemitleidet von den Gutmütigeren unter den Abgeordnetenkollegen, gedemütigt durch zermürbende Kämpfe um Respekt und Beistelltischchen.

Für Klaus Ernst ist Politik ein erbitterter Kampf gegen die, die in Saus und Braus leben, und für jene, "die nix haben". In der Welt des 55-jährigen IG-Metallers gibt es keine Zwischentöne, seine Welt ist schwarz-weiß.

Gesine Lötzsch hat sich während ihres Deutsch- und Englisch-Studiums der SED angeschlossen. Zur Belohnung durfte sie drei Jahre später ein Auslandssemester im niederländischen Leiden einlegen. Die 48-Jährige ist bis heute der Ansicht, dass nichts dagegen einzuwenden wäre, wenn ehemalige Stasi-Spitzel in Parlamenten oder gar auf Ministersesseln säßen. Lötzsch ist ihrer Partei gegenüber immer loyal geblieben. Egal ob sie sich PDS, Linkspartei.PDS oder - seit der Fusion mit der westdeutschen WASG im Juni 2007 - Die Linke nannte.

Klaus Ernst ist als 20-Jähriger in die SPD eingetreten. Als Gewerkschafter hat er jahrelang Streiks organisiert. 35-Stunden-Woche, Feiertagszuschläge - das waren seine Themen. Als Klaus Ernst anfing, seine eigene Partei zu bekämpfen, weil er in Praxisgebühren, Riester-Rente und Hartz IV den sozialdemokratischen Sündenfall sah, wurde er im Sommer 2004 mittels Ausschlussverfahrens vor die Tür gesetzt. Nicht zuletzt deshalb, weil er der SPD wiederholt mit der Gründung einer neuen Partei gedroht hatte.

Als sich die "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) Anfang 2005 konstituierte, war Ernst eins der vier gleichberechtigten Vorstandsmitglieder. Ein paar Monate später errang er zum ersten Mal ein Bundestagsmandat.

Zwischen der sanft wirkenden Berlinerin und dem so gerne mit Kraftworten um sich werfenden Münchner liegen Welten. Sie hat ihre akademische Ausbildung bruchlos absolviert, er hat sich seine nach einer Mechanikerlehre auf dem zweiten Bildungsweg erkämpft. Sie ist mit einem Sprachwissenschaftler verheiratet und hat zwei Kinder, er ist ledig und hat keine. Sie sammelt alte niederländische Bibeln, er hat sich einen 300 Jahre alten Bauernhof zugelegt. Ohne den Mauerfall wären sie sich nie begegnet.

Eine Parteikrise hat die beiden jetzt zusammengewürfelt. Als sich Die Linke nach dem krankheitsbedingten Ausfall ihres Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine Ende 2009/Anfang 2010 und dem angekündigten Abgang ihres Kovorsitzenden Lothar Bisky in einen ruppig geführten Personal- und Richtungsstreit verstrickte, suchte der geschäftsführende Parteivorstand sein Heil erneut in einer Doppelspitze. Halb Ost, halb West sollte die sein, halb männlich und halb weiblich. Nur so, dachte man sich in der Ostberliner Zentrale, würden die Gräben, die sich aufgetan hatten, zu überwinden sein. Quasi über Nacht wurden Lötzsch und Ernst ganz nach vorne geschoben.

Auf dem Sonderparteitag der Linken, der heute in Rostock beginnt, sollen sie gewählt werden. Vorher muss allerdings noch die Satzung geändert werden, in der die Doppelspitze ausdrücklich als Übergangslösung bis 2010 festgeschrieben ist. Dass dieser Parteitag nicht vor der NRW-Wahl stattgefunden hat, sagt viel über die Ängste im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, wo man bis zum Schluss gezweifelt hat, ob den Genossen der Sprung in den Düsseldorfer Landtag tatsächlich gelingen würde.

Der Wahlerfolg - Die Linke kam mit 5,6 Prozent über die Hürde - nimmt die Dramatik aus dem Rostocker Treffen. Kein Wunder. Wenn es richtig gut läuft für Die Linke, kann sie in Nordrhein-Westfalen demnächst sogar mitregieren. SPD und Grüne haben eine Koalition mit den SED-Erben jedenfalls nicht ausgeschlossen. Klaus Ernst hat die radikalen Forderungen des NRW-Verbandes seiner Partei am Freitag sicherheitshalber schon mal relativiert. Die Vergesellschaftung der Energiekonzerne RWE und E.on und der Übergang zur 30-Stunden-Woche seien von einer Landesregierung allein gar nicht zu leisten, hat der designierte Parteivorsitzende gesagt. Na, dann.