Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands hält jedoch nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielfalt der Konfessionen für biblisch begründet

"Damit ihr Hoffnung habt" heißt die Losung des 2. Ökumenischen Kirchentages, der heute in München beginnt. Und wir haben Hoffnung, denn es ist rasant, welche Fortschritte die Ökumene in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat! Das müssen sich auch die immer wieder klarmachen, die - durchaus verständlich - ungeduldig auf die nächsten Schritte warten. Viele Gemeinsamkeiten sind in Deutschland erreicht, und es ist vielerorts eine Selbstverständlichkeit, dass evangelische und katholische Gemeinden vertrauensvoll zusammenleben und -arbeiten.

Gerade angesichts des Erreichten warten viele engagierte Christinnen und Christen auf weitere Fortschritte in der Ökumene. Und in der Tat: Seit 1999 die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen dem Vatikan und den Lutheranern verabschiedet wurde, ist substanziell nicht viel geschehen. Das führt zu einem Gefühl der Stagnation, auch wenn es völlig übertrieben ist, gleich von einer "ökumenischen Eiszeit" zu sprechen. Wir sind jetzt, nach vielen Erfolgen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im evangelisch-katholischen Dialog bei den Kernfragen angekommen, die das gemeinsame Haus unserer Kirchen betreffen. Im Bild gesprochen: Wir stehen vor dem Schlafzimmer, nachdem Terrasse, Flur und Wohnzimmer aufgeräumt sind. Jetzt müssen wir über die wesentlichen Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken reden.

Zum Beispiel über das Verständnis des kirchlichen Amtes und das Verständnis von Kirche überhaupt. Das erscheint im Moment schwierig, da es da grundlegende Unterschiede gibt.

Das darf uns nicht entmutigen, denn das biblische Zeugnis verpflichtet und ermutigt uns zum ökumenischen Gespräch. Im Johannesevangelium, in den Abschiedsreden Jesu an die Jünger, wird überliefert, dass Jesus sagt: "Ich bitte aber nicht allein für sie (nämlich die Jünger), sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben, damit sie alle eins werden. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast." (Joh 17,21-22).

Dieser Auftrag zum Eins-Sein in Christus hat schon in den ersten Tagen der Christenheit unterschiedliche Interpretationen und Ausgestaltungen erfahren. Vom evangelischen Neutestamentler Ernst Käsemann stammt der Satz, dass die Bibel "nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielfalt der Konfessionen" begründe. Er hat recht: Schon in der Bibel finden sich unterschiedliche Interpretationen des einen Heilsereignisses in Jesus Christus. Die Vielfalt von Gemeinden, Konfessionen und auch Kirchen ist also kein Spätphänomen der Christenheit. Diese Vielfalt prägt sie von Beginn an.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die verschiedenen geistlichen Einsichten, die unterschiedlichen Frömmigkeitsformen und gewachsenen Traditionen den ökumenischen Dialog bereichern. Es sind die spezifischen Gaben und die besondere Prägung der Partner, die wir in der Ökumene mit gegenseitigem Respekt und in großer Achtung wahrnehmen wollen. Der Hamburger Theologe Fulbert Steffensky formuliert dies so: "Die Kirchen brauchen die je anderen Kirchen, um ganz und vollständig werden zu können." Das heißt: Wir dürfen uns nie selbst genug sein, wir sollten uns bewusst sein, dass wir als Kirchen immer der Ergänzung bedürfen durch die geistlichen Gaben und Einsichten der anderen. So verstehe ich die Formel von der versöhnten Verschiedenheit.

Nur wenn wir uns auf Augenhöhe als Kirchen begegnen, können ökumenische Beziehungen in eine gute Zukunft führen. Natürlich beschäftigt die Frage des gemeinsamen Abendmahls viele. Es schmerzt auch mich, dass sich im Moment keine schnellen Lösungen abzeichnen. Von evangelischer Seite steht einem gemeinsamen Abendmahl theologisch nichts im Wege.

Wir bieten allen getauften Christen eucharistische Gastfreundschaft an, weil nach unserem Verständnis nicht die Kirche zum Abendmahl einlädt, sondern der Herr der Kirche, Jesus Christus. Wir geben seine Einladung nur weiter. Allein im mutigen Hören auf diesen Herrn erwarte ich Fortschritte - es gilt, etwas zu wagen und dicke Bretter zu bohren.

"Damit ihr Hoffnung habt" - so lautet das Kirchentagsmotto. Ich hege die Hoffnung, dass vom ökumenischen Kirchentag Impulse ausgehen, die uns aus allen scheinbaren Sackgassen führen. Wir wollen feiern, was uns verbindet, gemeinsam bezeugen, was heute zu den drängenden Fragen zu sagen ist, und fragen, was uns voranbringen kann, denn der Geist Gottes kennt keine Grenzen!