Der 93-jährige Willy Hars erhält das Bundesverdienstkreuz, weil er sich seit 75 Jahren im Chor engagiert

Für einige ist es die Frau, in die sie frisch verliebt sind. Für andere täglicher Sport. Und für manche der Schönheits-Chirurg. Auch Willy Hars hat einen Jungbrunnen gefunden. Schon vor Jahrzehnten. Es ist das Singen, das den 93-jährigen Hamburger fit hält. Körperlich und geistig. "Das Singen ist mein Leben", sagt er. In seinen wachen blauen Augen spiegelt sich die Freude wider, die ihm die Musik bereitet.

Seit 75 Jahren singt und engagiert sich der frühere Pflasterer in der "Liedertafel Amicitia von 1874 Curslack". Für diesen Einsatz bekommt Willy Hars, den seine Chorkollegen liebevoll "Fossil im zweiten Bass" nennen, heute das Bundesverdienstkreuz verliehen. Im Gasthaus "Zur Schiefen Brücke" überreicht ihm Bergedorfs Bezirksamtsleiter Christoph Krupp den Orden. Fein werde er sich machen für diesen Abend. "Ich ziehe meine Sängerkluft an", sagt Willy Hars. Graue Hose, Jackett, blaue Krawatte. Aufgeregt sei er nicht. "Aber ich fühle mich ein bisschen geehrt." Viel lieber als über die Auszeichnung spricht er über die Lieder, die er so liebt. Wie "Seemann, deine Heimat ist das Meer". "Oder die 'Kleine Kneipe' von Peter Alexander - das ist gut", sagt Hars, als schwärme er von einem hübschen Mädchen. "Bei Korn und bei Bier", zitiert er eine Passage aus dem Song und gluckst dabei vor Lachen.

Aus dem Stegreif kann er Dutzende Songtitel runterrattern. Volkslieder sind eben sein Ding. Deshalb sei er auch ein Fan der Fernsehsendung "Willkommen bei Carmen Nebel". Wenn die läuft, sitze er mit seiner Ehefrau Friedel im Wohnzimmer und singe mit. Befremdlicher ist für ihn die Musik der Urenkel. "Das ist meistens so Rums-Rums-Musik", sagt Hars. Mit Udo Jürgens, von dem der Chor jetzt auch Hits im Repertoire habe, konnte er sich gut anfreunden. Mit Bushido klappt das nicht.

Hunderte Lieder habe er im Laufe der Jahre schon auswendig gelernt. Zum Beweis holt er ein altes Notenheft. Die Seiten sind schon etwas vergilbt. Eben die Zeichen der Zeit. "Nein", wendet er ein, "da habe ich mit dem Grog gekleckert." Das Rum-Tee-Gemisch trinke er mit seinen Sangesbrüdern immer noch. "Auch im Sommer. Das ölt die Stimme", sagt Hars. Und grient. Was beim Singen ein wenig störe, sei sein Hörgerät. "Die hohen Stimmen kommen immer zuerst an, den Bass höre ich schlecht." Er runzelt die Stirn. Dass das Alter an ihm nicht ganz spurlos vorbeigeht, scheint ihm nicht zu passen.

Irgendwann nicht mehr bei der Liedertafel mitmischen zu können, das kann er sich nur schwer, nein, gar nicht vorstellen. "Ich muss einfach dabei sein", sagt Hars, der noch nie ein Treffen geschwänzt hat. Darauf ist er nicht stolz, es ist für ihn selbstverständlich. Zu den Proben holen ihn die Chorkollegen mit dem Auto ab. Aber sich beim Singen hinzusetzen, da weigere er sich. "Ich will stehen", sagt Willy Hars. Schließlich sei er ja noch keine 100.