Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag sieht in einer Ampel aus SPD, Grünen und FDP die richtige Antwort für Nordrhein-Westfalen

Stefan Zweig beschreibt in seinen "Sternstunden der Menschheit" so etwas wie magische Momente des Zeitgeschehens. Am Wahlsonntagabend hatte man den Eindruck, einem solchen live beizuwohnen. Da flimmerte die Berichterstattung aus Düsseldorf über die Bildschirme, und wer aushielt, konnte verfolgen, wie sich die beiden konkurrierenden Parteien auf das gleiche Niveau nivellierten.

Gefolgt, flankiert und unterlegt wurde die Berichterstattung durch die dramatischen Vorgänge zur Rettung des Euro. Man braucht nicht viel Sachverstand, um zu erkennen, dass mit dem Euro nicht nur eine Währung, sondern eine ganze Wirtschaftszone und mit der Wirtschaftszone die Politik der europäischen Einigung seit dem Zweiten Weltkrieg auf dem Spiel steht, denn das Gespenst, das umgeht in Europa, der von der Kette gelassene Werwolf Kapitalmarkt, ist nicht gebannt. Da erschien die Landtagswahl fast nebensächlich. Auf eine Art war sie das auch, denn es ist der Politik wieder nicht gelungen, adäquat auf die gesellschaftlichen Herausforderungen zu antworten.

Schnell war dem erfahrenen Wahlsendungenzuschauer klar, dass es weder eine rot- noch eine schwarz-grüne Landesregierung geben würde, denn eine Ein- oder Zweistimmenmehrheit macht Regierungen erpressbar und lähmt sie. Das schreibe ich als Bürger eines Landes, der die Lethargie einer Einstimmen-Regierung täglich erlebt. Dass die Grünen der Rüttgers-Truppe zu einer Jamaika-Mehrheit verhelfen, hätte nach dem Abstrafen von Schwarz-Gelb niemand verlangen können.

Aber nüchtern betrachtet wäre die Ampel, also ein Bündnis aus SPD, Grünen, FDP, die richtige Antwort für NRW. Auch weil die Westerwelle-FDP einsehen muss, dass die Strategie ihres Vorsitzenden, die die letzten Jahre erfolgreich war, jetzt gescheitert ist. Die FDP spielt bundespolitisch keine Rolle mehr. Merkel schließt Steuersenkungen aus, das zentrale Wahlkampf-Versprechen der FDP. Eigentlich muss sie jetzt die Koalition in Berlin verlassen.

Eine Umorientierung der FDP in NRW zu einer sozialliberalen Partei, ein neuer Vorsitzender, eine neue Programmatik, wäre ein Ausweg. Sie hat ihn sich verbaut, weil sie die Ausschließeritis der Vergangenheit fortgesetzt hat. Das ist ein historischer Moment. Denn die FDP hat die klare Illusion von Lagern gebraucht. Nun steckt sie in der Sackgasse. Und weil alle wieder alles ausgeschlossen haben, bleibt als einzige "kleine" Alternative nur Rot-Rot-Grün. Alle Beschlüsse aus Brüssel und Berlin müssen durch den Bundesrat. Dass die Linke als eine Partei, die den Konnex zwischen europäischer Wirtschaft und europäischer Einigung nie akzeptiert oder verstanden hat und mindestens in weiten Teilen europafeindlich ist, die im Bundestag schon der Hilfe für Griechenland nicht zugestimmt hat, nun dem Mega-Paket zustimmen soll, bedeutet faktisch, dass die Linke sich neu erfinden muss. Zumal absehbar die Zeche bezahlt werden muss. 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungssektors oder die Verstaatlichung der Industrie dürften damit schwer in Einklang zu bringen sein. So bleibt nur die Große Koalition. Auf die läuft es in NRW hinaus.

Letztlich auch in Berlin, vermutlich schneller als gedacht.

Als politische Wahlgewinner gehen die Verlierer CDU und SPD aus der Wahl hervor. Vermutlich werden sie auch nach einer erfolgreichen (wenn es so etwas gegenwärtig gibt) Regierungszeit bei der nächsten Wahl eher um die 25-Prozent-Marke kämpfen. Das ist kein Zufall. Denn die Milieus, die jahrzehntelang die Parteistrategie bestimmten, befinden sich in Auflösung. Die CDU-Frau will nach ihrem Studium arbeiten, der grüne Besserverdiener tritt für höhere Steuern ein, der Handwerker für energetische Sanierung ... Die politischen Koordinaten verändern sich grundsätzlich. Das nimmt alle Parteien anders in die Pflicht. Auch die Grünen, deren Stärke an Zustimmung schnell zu einer politischen Schwäche werden kann, wenn sie nicht in Gestaltungsoptionen umgesetzt wird.

Die Grünen als vermutlich modernste Partei haben die verdammte Aufgabe, auch die anderen Parteien zu verändern. Entweder es gelingt, jenseits des Lagerwahlkampfes eine inhaltliche Debatte über die Zukunft des Gemeinwesens zu formulieren, an der sich alle demokratischen Parteien beteiligen - nicht sich ausschließen. Oder es wird immer nur neue Große Koalitionen geben. Das aber stellt letztlich das Verhältniswahlrecht infrage.