Die Freiheit der Religionsausübung ist grundrechtlich geschützt, betont der Bundesinnenminister, nicht aber die Ablehnung unserer Gesellschaft um der Religion willen

Was sind die gemeinschaftsfördernden Kräfte in unserer Gesellschaft? Dies ist die Frage nach den Pfeilern, die den in seinen Umrissen vielleicht nur schemenhaft erkennbaren Bau halten und bei denen wir selbst Halt finden.

Hierzu gehören Religion, geteilte Werte wie Freiheit, Solidarität und gegenseitiger Respekt, eine gemeinsame Sprache, nationale Symbole und Bürgerstolz, ein gemeinsames Verständnis von dem, "was man tut" und "was man nicht tut". Um uns gegenüber dem Ungewohnten, Neuen und Fremden zu öffnen, brauchen wir auch ein positives Verständnis von Heimat und Herkunft. Ein gutes Miteinander funktioniert zudem nicht ohne öffentliche Sicherheit. Wer sich nicht sicher fühlt, baut Mauern um sich herum und schottet sich ab.

Zur guten Gemeinschaftlichkeit in einer freiheitlichen Demokratie gehört ganz gewiss eine halbwegs gerechte Verteilung von Chancen. Der Staat hat hier die Aufgabe, Menschen mit schlechten Ausgangschancen unter die Arme zu greifen, ohne ihnen das Laufen abzunehmen, wie er auch die Aufgabe hat, jenen auf die Finger zu klopfen, die ihre eigene Stellung auf Kosten der Allgemeinheit ausnutzen.

Vor allem braucht eine demokratische Gesellschaft Bürger und Gruppen von Bürgern, die sich verantwortlich fühlen für das Ganze. Gefordert sind Menschen, die nicht nur berechtigte partikulare Interessen verfolgen, sondern ihr Handeln auch durch eine Gesamtverantwortung bestimmen lassen, ja auf die Gemeinschaft hin ausrichten. Gemeinsinn ist gefordert.

Wir haben hier eine Wechselbeziehung zu beachten: Das Vertrauen der Bürger in den Staat ist eine notwendige Voraussetzung für das Funktionieren der demokratischen Ordnung. Umgekehrt ist das Vertrauen in die Gestaltungskraft der Bürger eine starke Ressource eines Staates, der sich seiner Begrenztheit bewusst ist.

Unsere Welt verändert sich ständig, vieles formt sich um, Ablösungsprozesse sind schmerzhaft. Veränderungen haben aber auch immer ihr Gutes. Im Handeln freier Bürger entstehen immer auch neue Quellen des Zusammenhalts.

Beim Internet werden immer wieder Kategorien des Verfalls angelegt, z. B. Anonymisierung, Enthemmung, Wirklichkeitsflucht. Stattdessen sollten wir fragen, was an Neuem entsteht. Warum sollte zu den Antworten, was unsere Gesellschaft 2010 zusammenhält, nicht auch das Internet mit seinen sozialen Netzwerken gehören? Die Politik hat dazugelernt und nimmt die Anliegen der Netzgemeinde sehr ernst.

Zu den wichtigsten Kraftquellen des Zusammenhalts gehört Religion. Ich erinnere nur an den Ausspruch von Jesus Christus: "Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Hier wird deutlich, wie die Liebe zu Gott auch als soziales Band in die Gesellschaft wirkt. Angesichts der Vielfalt der Religionen sollten wir Gemeinsamkeiten fördern, aber Unterschiede akzeptieren. Das bedeutet, für religiöse Vielfalt zu werben und den Angehörigen anderer Religionen in unserem Land, insbesondere den rund vier Millionen Muslimen, zu helfen, hier heimisch zu werden. Hier setzt die Deutsche Islamkonferenz an, die ich weiterführe. Sie ist ein Signal, Muslime als Teil Deutschlands anzunehmen. Zum anderen ist sie ein Appell an die Muslime in Deutschland, einen aktiven Beitrag im Integrationsprozess zu leisten.

Die Islamkonferenz lebt auch von Auseinandersetzungen. Wir dürfen uns Prozesse, die dem Zusammenhalt in unserem Land dienen, nicht zu harmonisch vorstellen. Gerade die Konfliktbewältigung stellt eine Form gemeinsamen Handelns dar und schafft etwas, das Bindungen entstehen lässt.

Das kennen wir von dem Streit um die 68er, um die Atomkraft, die Ostpolitik, und wir werden es erleben bei der Umsetzung der Schuldenbremse, mit den gesellschaftlichen Debatten, die die Haushaltskonsolidierung auslösen wird. Im Rückblick ist die Auseinandersetzung selbst ein Kitt für die Gesellschaft geworden, statt sie auseinanderzutreiben. Denn wenn wir bereit sind, Konflikte zu regeln und zu lösen, wollen wir etwas Gemeinsames. Je schemenhafter der Bau unserer Gesellschaft, umso sichtbarer müssen dessen Pfeiler sein. Den gesellschaftlichen Zusammenhang stärken: Der Staat kann hierzu einen Beitrag leisten, der unvollkommen bleiben darf, kann und sogar muss. Was der Staat nicht kann, überlässt er den Bürgern. Das ist eine gute, eine freiheitliche Nachricht. Es ist unser Freiraum, es ist unsere Verantwortung, denn es ist unsere Gesellschaft.