Der Operettenkönig musste vor den Nazis fliehen. Nach dem Krieg fand er in Hamburg seinen Frieden. Er starb vor genau 50 Jahren.

Hamburg. Flughafen Frankfurt am Main, 30. April 1956: Auf das Vorfeld rollt ein dunkler geräumiger Opel bis dicht an die Maschine aus New York, die gerade gelandet ist. Drei junge Männer steigen aus: zwei Assistenzärzte aus dem Eppendorfer Krankenhaus und Andreas J. Meyer, seit Kurzem Verleger des kleinen norddeutschen Merlin-Verlags. Mit der Maschine sind etwa 50 kranke Menschen aus den USA zurückgekehrt, die vor dem Hitler-Regime geflohen waren. Auf einen von ihnen warten die drei: auf den "König der Operette", auf Paul Abraham. Der schwer kranke Komponist wird die Gangway heruntergebracht. Ein paar Fotografen machen Bilder, dann bringen ihn die Ärzte ins Auto.

"Die ganze Fahrt zurück nach Hamburg saß er ausdruckslos im Fond, sagte nichts, schaute abwesend", erinnert sich der Verleger, heute 82 Jahre alt. Er war dabei, weil sich sein Vater Johannes Meyer, ein von den Nazis entlassener Hamburger Spitzenjurist, für die Rückkehr Paul Abrahams eingesetzt hat.

Die Ankunft in der Eppendorfer Klinik, in der Psychiatrie von Prof. Bürger-Prinz, wird Auftakt zum Ende einer langen Lebensreise, die durch den mörderischen Judenhass der Nationalsozialisten für einen der begabtesten und erfolgreichsten Komponisten der 30er-Jahre zur Odyssee und zum Abstieg in die geistige Umnachtung wurde.

Paul Abraham wird am 2. November 1892 als Pál Ábrahám als Sohn eines Bankdirektors im heute serbischen, damals ungarischen Apatin geboren. Er lernt Cello spielen und studiert Musik in Budapest. Bei Akademiekonzerten sind erste eigene Werke zu hören: eine Serenade, ein Cellokonzert, ein Streichquartett. 1926 steht der Name "Paul Abraham" bereits fett auf Programmen der Salzburger Festspiele - der Aufstieg hat begonnen.

Er setzt sich rasant fort - Paul Abraham, immer offen für Neues, überrascht seine Freunde erst mit Stummfilmmusik ("Die Frau aus dem Morgenland", 1927) und dann mit einer eigenen Operette: "Der Gatte des Fräuleins" (1928). Das Genre liegt ihm, obwohl er weiter "ernste" Musik schreibt - und sie "für später" in Schubladen verschwinden lässt. Die Noten sind verschollen.

1930 - da ist er über Wien schon in Berlin angekommen, der quirligen, verrückten, auf Neues versessenen Kulturhauptstadt - landet er seinen ersten Welterfolg: "Viktoria und ihr Husar". Eine kleine Revolution: Ins Orchester integriert spielt eine komplette Jazzband, die Akzente gegen den süßlichen Operettenschmelz setzt. Abraham steigert das klischeegefährdete Genre ins Absurde, schreibt avantgardistisch inspirierte Musik, die Kritiker an Richard Strauss, an Strawinsky erinnert, an Kurt Weill oder die Comedian Harmonists. Seine Musik zwischen Jazz und Czárdas, zwischen Kurfürstendamm und Broadway, fremden Ländern und schmachtender Erotik ist wild, verrückt - und verzaubert das Publikum mit einem Ohrwurm nach dem anderen: "Ja, so ein Mädel, ungarisches Mädel, geht nicht aus dem Schädel", "Du warst der Stern meiner Nacht", "Meine Mama war aus Yokohama", "Mausi, süß warst du heute Nacht" und, und, und ...

"Viktoria und ihr Husar" erobert die Bühnen in ganz Europa; Abraham wird zum Star; komponiert Tonfilmmusiken, Schlager und zwei weitere Operetten: "Die Blume von Hawaii" - mit Hits wie "Will dir die Welt zu Füßen legen", "Du traumschöne Perle der Südsee", "Bin nur ein Johnny, zieh durch die Welt", "My little Boy, ich bleib dir treu". 1932 folgt "Ball im Savoy" ("Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen") - mit triumphaler Premiere kurz vor Weihnachten 1932 im Berliner Großen Schauspielhaus, dem heutigen Friedrichstadtpalast.

Seine Operetten werden verfilmt; die Tantiemen machen Abraham zum reichen Mann. In seinem Haus in der Fasanenstraße trifft sich, was Rang und Namen hat.

5. Januar 1946, New York: Mitten im dichten Verkehr der Madison Avenue steht ein abgerissener Mann mit weißen Handschuhen auf einem Steinsockel und dirigiert ein unsichtbares Orchester. Aus seinem Hotel hat man ihn geworfen, nachdem er den Liftboy 42-mal in den 17. Stock und zurück fahren ließ und dabei verlangte: "Schneller, noch schneller!" Die Polizei bringt ihn in Sicherheit. Paul Abraham heißt er? Nie gehört! Der zweifellos Irre wird ins Bellevue Hospital gebracht, später ins Creedmore State Hospital auf Long Island, die damals größte psychiatrische Klinik der USA. Er lebt in einem Raum mit zehn Betten, fegt die Stufen und kritzelt wirre Zeichen auf Notenpapier. Freunde erkennt er nicht mehr, bekommt wohl kaum mit, dass 1952 im New Yorker Imperial Theatre "Viktoria und ihr Husar" läuft - keinen Abend gibt es dort weniger als 30 Vorhänge! Doch der Komponist hat alles verloren.

Hinter ihm liegt die Odyssee seiner seit 1933 währenden Flucht vor den Nazis: Wien, Budapest, Paris, Spanien, Portugal, Havanna, New York. Nirgendwo konnte er an seine Berliner Erfolge anknüpfen; er schlägt sich zuletzt als Barpianist durch. Ab 1943 werden Anzeichen einer verschleppten Syphilis bemerkt, die sein Hirn in Mitleidenschaft zieht.

1954 greift das Hamburger Abendblatt den Fall Abraham auf. In Hamburg hat sich eine Initiative gefunden, die für Abrahams Rückkehr nach Deutschland kämpft - sie will ihn nach Hamburg holen. Doch zuerst muss der kranke Komponist seine einträglichen Tantiemen-Rechte zurückbekommen, weil er als Staatenloser ohne Vermögen nicht einreisen darf. Das gelingt dem ehemaligen Senatspräsidenten am Oberlandesgericht, Johannes Meyer, erst 1956, mehrfach unterstützt von Artikeln im Abendblatt. Er wird später auch Abrahams Vormund. Am 30. April 1956 trifft Paul Abraham in Hamburg ein und wird in die Psychiatrie zu Prof. Bürger-Prinz ins Eppendorfer Krankenhaus gebracht. Er erholt sich nur langsam. Mitte Juni gibt er erste, anrührende kleine Konzerte für die Schwestern und Ärzte in Eppendorf. Seine Ehefrau Charlotte, die er 17 Jahre nicht sah, kommt ebenfalls nach Hamburg und pflegt ihren kranken Mann nach dessen Entlassung. Im November 1956 gibt es ein Konzert zu Ehren des "Operetten-Königs" in der Musikhalle - der Schöpfer der Melodien ist zu schwach, um zu kommen.

Er lebt die letzten Jahre in Hamburg, Klosterallee/Ecke Isestraße. Schreibt Noten, die nie veröffentlicht werden, glaubt, er sei noch in New York. Am 6. Mai 1960 stirbt Paul Abraham. Seine letzte Ruhe findet er auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

An seinem Grab legten gestern, an Abrahams 50. Todestag, der ungarische Botschafter Sandor Peisch und Kultursenatorin Karin von Welck einen Kranz nieder. Und am 16. Mai erinnert das St.-Pauli-Theater an den Mann, der Melodien für Millionen schuf, heute aber vergessen ist - fast.

Reich mir zum Abschied ... - Hommage für Paul Abraham von Matthias Wegner, mit Ulrich Tukur, Peter Franke u. a. St.-Pauli-Theater, Spielbudenplatz 29/30, 16. Mai, 12 Uhr. 20 Euro, Karten unter 040/30 30 98 98

Biografie: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit: www.lexm.uni-hamburg.de