Michael Heise, 53, ist Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe, einer der führenden Finanzdienstleister.

1. Hamburger Abendblatt:

Griechenland erhält 110 Milliarden Euro Finanzhilfen. Kann der Staat jemals seine hohen Schulden begleichen?

Michael Heise:

Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Griechenland hat nach einer Radikalsanierung gute Chancen, wieder auf Wachstumskurs zu kommen.

2. Ist Sparen der richtige Weg aus der Krise? Oder bräuchte Griechenland nicht eher ein Konjunkturprogramm?

Rigides Sparen ist unverzichtbar, aber es muss von Reformen begleitet werden. Griechenland hat jetzt die Chance, mit den Fehlentwicklungen der Vergangenheit aufzuräumen. Eine konsequente Spar- und Reformpolitik wird zwar zunächst zu Produktions- und Beschäftigungsverlusten führen. Aber sie ist Voraussetzung für einen Neustart, von niedrigem Niveau aus wieder zu wachsen. Ein Konjunkturprogramm wäre dagegen kontraproduktiv. Noch höhere Schulden wären für die Finanzmärkte nur ein Signal, dass ein Zahlungsausfall bevorsteht. Die Zinsen würden weiter nach oben schießen.

3. Was muss geändert werden, um die griechische Wirtschaft auf Wachstumskurs zu bringen?

Griechenland hat nur begrenzte Möglichkeiten, seinen Export - etwa in den Bereichen Landwirtschaft und Schifffahrt - zu stärken. Nach einer so gewaltigen Krise müssen die Menschen sich neue Existenzen aufbauen, neue Wege gehen. Dadurch entsteht neue Wirtschaftsaktivität. Darüber hinaus sollte Griechenland versuchen, internationale Investoren anzulocken. Auch Irland hat es einst geschafft, sich vom Agrarland in ein hochproduktives Finanzzentrum zu wandeln.

4. Könnte Deutschland angesichts seiner Billionenschulden in eine ähnliche Situation geraten?

Das halte ich für nahezu ausgeschlossen. Die Euro-Anleihen der Bundesrepublik werden sogar niedriger verzinst als Anleihen der USA. Deutschland wird als sicherer Hafen angesehen. Damit das so bleibt, muss auch Deutschland einen konsequenten Sparkurs verfolgen. Weitere groß angelegte Stützungsaktionen würden auch uns überfordern.

5. Droht Europa eine große Inflation, um die Schulden abtragen zu können?

Nein. Eine Inflation würde die Probleme nicht lösen. Dabei werden Vermögen vernichtet, die Kaufkraft der Löhne sinkt. Für den Staat würden die Zinskosten dramatisch ansteigen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Staaten eine bewusste Inflationspolitik betreiben, um Schulden abzutragen. Das wäre wie ein Selbstmord aus Angst vor dem Tode. Der Ausweg aus den Schulden gelingt am besten über nachhaltiges Wachstum und Sparen - das gilt für alle Länder.