Der Wut-Brief eines anonymen Schanzenbewohners an die Randalierer

Lieber anonymer Schanzen-Randalierer,

ich war dabei, als Du am 1.-Mai-Wochenende mit Rucksäcken voll Steinen und Brandbeschleunigern anreistest. Mit Mamas Monatskarte aus der Vorstadt, im Kopf viel billiger Fusel und wenig wirkliche Ideen. Die Gedanken leer von wirklich Wichtigem. Die große Sehnsucht nach Chaos spülte dich wie eine Ölpest zu uns in die Schanze, vor meine Haustür. Wo Du bist, erstirbt das soziale Leben. Erstirbt der Diskurs. Denn Dein Ziel ist das Chaos, die Gewalt. Die Zerstörung. Um jeden Preis. Oft auch gegen uns, die Anwohner des Schanzenviertels.

Ich habe Dich gesehen, als Du feige und versteckt unterm teuren Marken-Kapuzenpulli wieder mal sinnentleert mein Schanzenviertel zündeltest. Als Du Plastikmülltonnen und stinkenden Sperrmüll zu einem Feuer mitten zwischen unseren Häusern stapeltest. Ich hab Dich gesehen, als Du Fahrräder der Anwohner in die Flammen warfst. Ich habe dich erwischt, als Du Zweige und Bäume aus dem Park hinter der Flora, der uns Erholung sein soll, in dein stinkendes Straßenfeuer wuchtetest.

Ganz großes Kino? Nein. Ganz große Scheiße! Hey, Möchtegern-Mescalero: Plastik verbrennen? Fahrräder anzünden? Natur zerstören? Geht's denn noch? Wie asozial ist das denn? Von zerschlagenen Scheiben des Kleingewerbes und zerstörten Studenten-Autos in den Nachbarstraßen gar nicht erst zu reden. Auch nicht von dem Ritual rund um die Haspa-Filiale und Deutsche Bank, wo Du und Deines Ungleichen vermeintliche Stärke gegen den Kapitalismus zeigst, indem Du mit riesigen Eisenstangen Geldautomaten und Schaufensterscheiben zerschlägst. Welch jämmerliches Spektakel, das jedem schadet, aber am wenigsten der Bank.

Ich habe Dich beobachtet, wie Du zwei Stunden unter Gejohle herumlungernder Billig-Bier-Teenager und von der Polizei lange ungehindert Krawall machen durftest. Dich hirnlos an Eigentum kleiner Leute, Anwohnerinteressen und sämtlichen Ideen vergingst, für die andere hier jahrelang gekämpft haben. Gekämpft damals auch mit Demos. Sicher auch mal mit Spektakel und Krawall. Aber selten so völlig sinnlos wie heute.

Während die wirklich Radikalen ihren Kick und Kampf diesmal wohl eher in Berlin suchen, wo trotz Krawall zumindest noch ein Rest von Meinung auf der Straße demonstriert und ausgetragen wird, wo Nazis zu verjagen und Spruchbänder zu tragen waren, da bleibst Du lieber brav und spießig zu Hause. Spielst Bürgerkrieg für Arme. Hoffst auf Sekunden-Prominenz in der krawallgeilen Lokalpresse. "Das ist krass-peinlich, Digger", damit Du es auch in Deiner Sprache verstehst.

Du, pubertärer Vorstadt-Guerillero, aber hältst all Dein sinnentleertes Treiben in kompletter Unkenntnis sogar noch für Anarchie. Pinselst "Revolution" an jene Rote Flora, die wir auch mal freikämpften mit Demos, die aber heut meist für nichts mehr steht als für Intoleranz und Gewaltkulisse. Und zu allem Übel grölst Du bei brennenden Plastikplanen, die den hier lebenden Kindern die Lungen verklebt, auch noch "St. Pauli, St. Pauli". Hey. Du verstrahlter Krawallerianer: Wir sind St. Pauli - Du aber definitiv nicht! Die mögen aufsteigen, Du aber, anonymer Asozialist, steigst ab, denn tief bist Du gesunken. Dort, bei "unserem FC St. Pauli", will man Leute wie dich auch nicht.

Wir ticken hier sicher links-liberal, kritisieren gern den Staat, die Polizei. Aber wir ringen hier auch um Menschlichkeit, um Leben, um Lösungen. Du aber zerstörst sie. Und wenn Du stundenlang ungehindert auf dem Schulterblatt zündeln durftest, und dann doch noch die Ach-so-böse-Polizei vorbeikommt, um zumindest mal den Großbrand, der unseren Häusern gefährlich nahe kommt, zu löschen, dann wirfst Du mit Glasflaschen und skandierst gleichzeitig: "Keine Gewalt, keine Gewalt." Hallo? Merkst Du noch was?

Such Dir, schäbiger halbstarker Krawallo, wenn Du zu viel Zeit hast, Arbeit, einen Sportverein, eine Freundin oder zumindest eine Meinung, einen Inhalt, für den es sich zu kämpfen lohnt. Und lass die Schanze, unsere Heimat endlich mal in Frieden, sie hat genug ohne Dich auszuhalten. In den Nachrichten hat man Dich als "Demonstrant" geradezu geadelt - einer, der politische Auseinandersetzungen pflegt, sich deshalb mit der Polizei auseinandersetzt.

Und eines, lieber sinnloser Straßenkämpfer, wisse: Lange lassen wir Anwohner uns das nicht mehr bieten. Dieses Mal haben wir Dich beobachtet - nächstes Mal greifen wir evtl. persönlich ein und vertreiben Dich aus dem Viertel - auch ohne Polizeieinsatz.

Kopfschüttelnde restsolidarische Grüße,

A., ein Anwohner aus dem Schulterblatt