Seit 22 Jahren steuert Uwe Laue den Linienbus 48 durch die steilen Gassen des Treppenviertels - ein tägliches Abenteuer für Fahrer und Gäste.

Blankenese. Es ist Mittwochnachmittag, 16.10 Uhr. "Linie 48: Strandweg/S-Blankenese" steht an dem kleinen Bus, der am Blankeneser Bahnhof hält. Drei Fahrgäste steigen ein, Busfahrer Uwe Laue grüßt und gibt Fahrscheine aus.

Los geht die Fahrt, der Bus lässt den Bahnhof hinter sich und biegt links ab in die Bahnhofstraße. Bis auf den herzlich-ruppigen Umgangston zwischen Gästen und Busfahrer scheint alles wie eine ganz normale Linienfahrt. Das ändert sich auch in den folgenden Minuten nicht. Erst als auf der Anzeige im Bus das Wort "Strandtreppe" leuchtet, drücken sich die Fahrgäste etwas tiefer in ihre Sitze. Der Bus biegt ab. Plötzlich verengt sich die Straße zu einer abschüssigen Gasse. Der vordere Teil des Busses neigt sich bedrohlich nach unten. Hoch konzentriert blickt der Busfahrer auf die Fahrbahn. Ohne Vorwarnung wird der beschauliche Bustransfer zur steilen Abfahrt, der Bus zum kraftvollen Geländewagen. Die "Bergziege", wie Blankeneser das Gefährt aus gutem Grund nennen, schlängelt sich durch das Treppenviertel. Rechts und links alte Häuserreihen mit schiefen Mauern und Vorsprüngen, fast streift der Seitenspiegel einen tief hängenden Balkon. Dicht bewachsene Mauern kommen so nah, dass die Zweige über die Busfenster kratzen. Das Fahrzeug wippt über holpriges Kopfsteinpflaster, umkurvt haarscharf geparkte Autos und Begrenzungspoller - zwischen Bus und Poller passt keine Hand.

Es ist ein wahrer Hindernisparcours, den die Bergziege und ihr Fahrer gemeinsam meistern. Einige Minuten dauert die Talfahrt, dann biegt der Bus rechts ab in den Strandweg. Plötzlich herrscht freie Sicht auf die Elbe, weißen Sandstrand und sacht wogende Wellen. Uwe Laue und seine Fahrgäste plaudern übers Wetter. Für Blankeneser ist es eine ganz normale Fahrt.

+++ Mit der Bergziege +++

"Das ist alles eine Frage der Erfahrung", meint Laue und lacht. Seit 29 Jahren ist er Busfahrer, seit 22 Jahren fährt er die Linie 48. "Wir hatten anfangs noch Busse mit Schaltgetriebe", erzählt er, "das war noch eine ganz andere Herausforderung. Heute sind das ja alles Automatikwagen."

Jeder hier kennt die Bergziegen, ihre Fahrer und die Strecke. Schon seit 1959 fährt die 48 der Pinneberger Verkehrsgesellschaft (PVG) als Ringlinie durch den Stadtteil. Wegen der engen Bebauung und schmalen Straßen im Treppenviertel setzte man hier von Anfang an spezielle Kleinfahrzeuge ein, so PVG-Sprecher Kay Goetze. Die Busse seien etwas schmaler und kürzer als normale Stadtbusse und böten weniger Sitzplätze.

Für Busfahrer ist die Tour eine echte berufliche Herausforderung. Nur wenige trauen sich die Steilabfahrt zu. Wenn neue Fahrer für die Linie 48 rekrutiert werden, sei beim ersten Mal immer ein erfahrener Fahrer dabei. "Es gab auch schon einige, die nach dem zweiten Tag aufgegeben haben", erinnert er sich. "Man braucht schon starke Nerven und eine gewisse Gelassenheit in brenzligen Situationen."

So kommt es immer mal wieder vor, dass die einspurige Strecke durch Falschparker oder durch einen Unfall blockiert ist, sagt Laue. Dann dehne sich die normalerweise 17-minütige Rundfahrt schon einmal zu einer mehrstündigen aus. Auch Fahrgäste, die lange nach dem passenden Kleingeld suchen, können zum Problem werden. Ein längerer Stopp in den engen Gassen ist nicht möglich, da sich hinter dem haltenden Bus schnell ein Stau bildet.

Riskant wird es für die Bergziege-Fahrer im Winter: Bei Glätte und Eis wird die abschüssige Strandtreppe zur Rutschpartie. Auch Uwe Laue ist das schon einmal passiert. Vor einigen Jahren sei er einmal um Haaresbreite an einer Backsteinmauer vorbeigeschlittert, erzählt er. Das sei schon ein Schreckmoment gewesen, aber sonst bringe ihn nichts so schnell aus der Ruhe.

Mittlerweile hat Laue sich an die vielen "Abenteuer" mit der Linie 48 gewöhnt. Auf jeder seiner Runden erlebt er etwas Neues, erzählt er. Mal ist es ein Wagen der Müllabfuhr, der zum Problem wird, mal der Wochenmarkt, der eine neue Verkehrslage herbeiführt. "Es ist nie eintönig", meint Laue, der selbst aus Blankenese kommt.

Was Uwe Laue an seinem Arbeitsalltag besonders gefällt, ist der Kontakt zu den Kunden. Außer im Sommer, wenn viele Touristen die Linie nutzen, seien es zu 80 Prozent Stammgäste, die mit der Bergziege fahren. "Da wird geschnackt und gemeckert, so wie überall", erzählt Laue. Das Gespräch gehe oft nicht einmal von ihm aus, meist kämen die Fahrgäste auf ihn zu. "Die Leute wollen diesen persönlichen Kontakt." So bekomme er vieles aus dem Leben der Kunden mit. Manche Fahrgäste kennt Laue seit mehr als 20 Jahren. "Die kriege ich zum ersten Mal im Kinderwagen zu Gesicht, dann sehe ich sie als Jugendliche auf ihren Rollern durch Blankenese flitzen, und später treffe ich sie als Erwachsene hier im Bus", sagt der gelernte Kfz-Mechaniker.

Ob er schon an seinen Ruhestand in einigen Jahren denke? "Ach so'n Quatsch, ich habe doch sicher noch zehn Jahre vor mir, so schnell werden mich die Blankeneser nicht los."