Wer bringt in 15 Minuten am meisten auf die Waage? In der Fischauktionshalle kämpften 32 Kandidaten um Pokal. Die Weltmeisterin kommt aus Marienthal.

Altona-Altstadt. Auf dem Fischmarkt demonstrieren Gewerkschaftler, doch der Mann mit dem schweißtreibendsten Job ist in der Fischauktionshalle nebenan im Einsatz: Marco Hauf, als kölscher Jung karnevalserprobt und ein wahrhaftiger Held der Arbeit, schlurft in einem knallroten, plüschig warm gepolsterten Kostüm durch die Gänge - als gigantischer Krebs.

Sonst darf es ein paar Nummern kleiner sein. Genau genommen sind's etwa maximal neun Zentimeter, das Gardemaß der Gemeinen Nordseekrabbe, von Wissenschaftlern Crangon crangon genannt. Dem gepanzerten Zehnfüßer möglichst schnell zu Leibe zu rücken und ihn der Chitinhülle zu entledigen, das ist die große Herausforderung am 1. Mai. Als Lohn winkt der Weltmeistertitel im Krabbenpulen.

32 fingerfertige Kandidaten wetteifern in vier Vorentscheidungen um die Krone. Wer wird nach dem Finale der Champion sein, die "Königskrabbe" quasi? Ein paar Hundert Zuschauer bestaunen die Gaudi am Elbufer, hocken an Holztischen und sorgen für beinharte Wettkampfatmosphäre. So ganz bierernst nimmt die Meisterschaft allerdings keiner, soll ja auch nicht. Einige Teilnehmer haben ihre Familien, Freunde oder Arbeitskollegen als Fans mitgebracht.

Für Stimmung sorgen besonders die Mannen des SC Eilbek. Die 2. Herren, in der Kreisliga IV gut dabei, haben fünf ambitionierte Puler zu der Ausscheidung entsandt. Bevor es am kommenden Sonntag gegen den SV Muslime um Punkte geht, soll beim Pulen triumphiert werden. Dass der Sponsor des Ereignisses den einen oder anderen Kurzen ausschenken lässt, trübt den Blick nur vorübergehend: An der Küste, das wissen nicht nur Seeleute, kann es immer ein bisschen neblig zugehen.

Umso besser, dass Klaus Pablo Torgau aus dem Kader des SC Eilbek mit klarem Blick antritt. Jeder Kandidat hat 15 Minuten Zeit, um die Panzer von einem Pfund Nordseekrabben zu knacken und möglichst viel Fleisch in die Waagschale zu bringen. Die winzigen Meerestiere mit den zwei Antennenpaaren, dem Scherenbeinpaar und dem Schwanzfächer gehören eigentlich zur Gattung der Garnelen und werden mancherorts auch Granat oder Knat genannt. Aber das nur am Rande.

Wirtschaftsstudent Torgau - wie alle Teilnehmer mit einer weißen Plastikschürze ausgestattet - legt mächtig los und verblüfft die Konkurrenz auf der Bühne mit flinken Fingern. "Das Trainingslager hat sich gelohnt", erzählt er nach dem Auswiegen. Die kickenden Kumpels hatten sich auf dem Wochenmarkt mit Nordseekrabben eingedeckt und die Probe aufs Exempel gemacht. Am vergangenen Freitag in Torgaus Wohnung in Barmbek - mit ein paar Sixpacks zum Nachspülen. Ein Grund für am Ende mangelnde Kondition? Spaß haben die Jungs allemal.

Andere nehmen den Wettstreit ernster. So wie Chris, die ihrer vor Nervosität zitternden Hände anfangs kaum Herr wird, nach einer Viertelstunde harter Arbeit aber doch 130 Gramm Krabbenfleisch auf die Digitalwaage bringt und in die Endrunde einzieht. Susanne ist der Einsatz "etwas zu glibschig", Hauke aus Friesland, passend mit Kapitänsmütze präsent, schafft gleichfalls die 100-Gramm-Hürde. Applaus! Auch Noa Sun aus Taiwan und Thi To Nga Tran aus Vietnam schälen routiniert, müssen jedoch im Finalezuschauen. Dafür ist Anja Tiedemann aus Winterhude in der Endrunde dabei. Die 38 Jahre alte Mutter und Projektleiterin bei Beiersdorf pult professionell: konzentriert, gleichmäßig, mit hanseatischer Ruhe gesegnet. Selbst die wenig gehaltvollen Fragen des Moderatorenpaars und die Liveübertragung perRiesenmonitor bringen sie nicht aus der Fassung.

Der Grund: Gemeinsam mit Mutter Katrin und Oma Hetti war schon als Kind Krabbenpulen angesagt. Fünf Jahre Job in New York mit jeder Menge Shrimps, aber eben keinen Krabben, steigerten den Appetit. Folge: Fast jedes Wochenende ordert Anja Tiedemann bei ihrem Fischhändler auf dem Isemarkt per SMS drei Kilo Crangon crangon, original in Schale natürlich. Aus Büsum kommen die Tiere, frisch vom Kutter und - für Gourmets ganz entscheidend - ohne Konservierungsmittel. Bisweilen kommen Freundinnen zur Pulparty, manchmal wird bei der Arbeit per Headset Klönschnack gehalten. Während der dreijährige Marvin gerne "zuschlägt", kann der Ehemann den Salat nicht mehr sehen. "Dafür darf er den Abfall entsorgen", sagt Anja. Aber bitte nicht am Tag der Arbeit.

Routiniert nimmt die Frau mit den flinken Fingern um 17 Uhr am Finaltisch Platz. Sieben Rivalen sitzen nebenan, dann erfolgt der Startruf. Anfeuerungsrufe gellen durch die Fischauktionshalle. Wieder beweist Anja stabile Nerven und Geschick. Die hauptberuflichen Pulerinnen in Marokko oder Weißrussland könnten es kaum besser. Und die immer wieder von Tüftlern mehr schlecht als recht entwickelten Pulmaschinen ohnehin nicht.

Leicht, locker und fröhlich belegt Frau Tiedemann den vierten Platz. Heidi Hengst aus Marienthal, die frischgebackene Weltmeisterin, bringt 200 Gramm auf die Waage. Geboren ist die fingerfertige 64-Jährige in Büsum - wo sonst? Motto: "Gekauftes Krabbenfleisch kommt bei uns nicht auf den Tisch." Für ihre Leistung gibt es einen imposanten Glaspokal. Und Erfrischungstücher für alle. Damit die Teilnahme am Ende niemandem stinkt.