Bis vor zwei Jahren war Saudi-Arabien ein Land ohne Kinos – die letzten wurden Anfang der 80er-Jahre unter fundamentalistisch-islamischem Einfluss geschlossen. Entsprechend spärlich waren auch die Filme, die im Land gedreht wurden. Dann kam 2012 Haifaa Al Mansour und eroberte mit „Das Mädchen Wadjda“ nicht nur die Filmfestivals der Welt, sondern konnte ihr Heimatland sogar dazu bewegen, erstmals einen Film für den Auslands-Oscar einzureichen. „Das Mädchen Wadjda“ war nicht nur der erste Spielfilm, der komplett in Saudi-Arabien gedreht wurde, er war ebenso der erste, bei dem eine saudi-arabische Frau Regie führte.

Passend erzählte „Wadjda“ eine Coming-of-Age-Story: Im Zentrum stand ein junges, aufgewecktes Mädchen, das sich mit der für Frauen in Saudi-Arabien vorgesehenen Zurücksetzung und Ein­engung der Bewegungsräume nicht abfinden wollte. Genau dieser Respekt für die bestehenden Verhältnisse, die dem westlichen Zuschauer zwar oft geradezu absurd vorkommen, in denen sich die Helden aber vollkommen versiert und vertraut bewegen, zeichnet auch Al Mansours neuen Film aus. In „Die perfekte Kandidatin“ spielt Mila Al Zahrani die junge Ärztin Maryam, die es zwar zu einem angesehenen Beruf gebracht hat, aber an ihrem Arbeitsplatz, einem Krankenhaus, die härteste Form des Sexismus erleben muss. Nicht nur, dass die Patienten, Männer wie Frauen, ständig nach einem „richtigen Arzt“ verlangen – ein alter Mann mag sich von ihr gar nicht erst behandeln lassen.

Dann aber bringen für sie zwei Erlebnisse das Fass zum Überlaufen: Zum einen ist da die Straße vor ihrem Krankenhaus, die seit Jahren asphaltiert werden müsste und die Anfahrt der Krankenwagen erschwert, zum anderen ist da die Geschichte mit ihrem Pass, den sie nur bekommt, wenn der Vater unterschreibt. Der aber ist auf einer Konzertreise, also muss sie beim nächsten männlichen Verwandten vorsprechen. Und dann ist die Konferenz, zu der sie fliegen wollte, auch schon zu Ende.

Maryam also hat die Nase voll und will etwas tun, vor allem für die Straße. So stellt sie sich bei der nächsten Kommunalwahl als Kandidatin auf. Was folgt, ist leider etwas zu sehr nach den bewährten Mustern des Feelgood-Kinos gedreht, mit seiner Taktung aus Rückschlägen und Missgeschicken, die dann in recht vorhersehbarer Weise überwunden werden müssen.

Aber diese Vorhersehbarkeit wird mehr als ausgeglichen durch den Blick in eine versteckte Welt. So fällt in den Straßenaufnahmen des Films auf, welch uniformes Bild Land und Leute bieten mit den schwarz verhüllten Frauen und den in weiße Qamis gehüllten Männern. Aber sobald Innenräume betreten werden, wird alles lebendig und vielfältig.

Das beginnt bei Maryam und ihren temperamentvollen Schwestern, die alle noch beim verwitweten Vater, einem Musiker, leben und unterschiedlicher nicht sein könnten. Und endet längst nicht bei den Konzerten, die der Vater mit seiner Band gibt. Die Szenen, die ihn mit seiner Altmännerband auf Tour zeigen, sind die eigentlichen Höhepunkte des Films: Sie spielen traditionelle Musik, für westliche Ohren vielleicht zu fremd.

Aber Al Mansour inszeniert dazu ein Publikum, das so offenbar nach emotionalen Erlebnissen giert, dass es sich kaum auf den Sitzen halten kann. Männer und Frauen wiegen sich, natürlich getrennt voneinander, weinend im Klang der Musik mit einer Sehnsucht, die ansteckt.

„Die perfekte Kandidatin“ Saudi-Arabien/D 2019, 105 Min., o. A., R: Haifaa Al Mansour, D: Nora Al Awadh, Dae Al Hilali, Mila Al Zahrani, im Abaton, Blankeneser, Studio (OmU), Zeise, Schanzenkino; www.die-perfekte-kandidatin.de