„Kümmere dich um ihn!“, bittet der Abt seinen Novizen, als ein Edelmann seinen Sohn verstößt und ins Kloster schickt. Der Novize will erst nicht, er möchte nur Mönch werden und Gott dienen. Auf Menschen versteht er sich nicht gut. Aber dann kümmert er sich doch um den Knaben, der in allem das Gegenteil von ihm ist. Er kümmert sich über die Jahre sogar zu viel um ihn, sodass im Kloster schon Gerüchte über die beiden die Runde machen. Und derselbe Abt seinen Schüler schließlich bitten muss, den Jungen in die Welt zu schicken. Und von ihm zu lassen.
Das ist die Geschichte von „Narziss und Goldmund“, einer der populärsten Erzählungen von Hermann Hesse, die gerade junge Leser anspricht, weil sie von den großen Fragen handelt, wie man ins Leben gehen und seinen Platz dort finden soll. Es ist die Geschichte von einem, der sich die Reize der Welt versagt und seine Lust in dunkler Klosterzelle in Striemen aus sich herauspeitscht, und von einem, der in die Welt zieht und alle Lüste sinnenfroh auslebt, bis er mit den Narben, die das Leben schlug, zurückkehrt. Der Aufeinanderprall zweier Welten: Geist und Körper, Askese und Ausschweifung, ein Leben nach strengsten Regeln und eins in absoluter Freiheit. „Wir zwei sind Sonne und Mond, sind Land und Meer“, heißt es einmal. Nun ist das Buch, 90 Jahre nach seinem Erscheinen, erstmals verfilmt worden. Dabei mochte der Literaturnobelpreisträger Hesse das Kino nicht, stand dem Medium Film immer ablehnend gegenüber und wollte seine Werke explizit nicht verfilmen lassen. Bis auf zwei amerikanische Kinofilme in den 70er-Jahren von „Siddharta“ und „Steppenwolf“ und eine wenig überzeugende deutsche Fernsehadaption von „Der Abschied“ 2012 haben sich die Hesse-Erben an dieses Verdikt immer gehalten.
In der Erzählung verlässt Goldmund (Jannis Niewöhner) ja das Kloster, um dann als Landfahrer 15 Jahre allerlei Freuden und Sinnesgenüsse, aber auch die Schrecken von Pest und Gottlosigkeit zu erleben, bevor er als ein anderer zu seinem Jugendfreund zurückfindet. Die eine Titelfigur ist also die meiste Zeit abwesend. In Stefan Ruzowitzkys recht freier Filmbearbeitung dagegen gibt es einen harten Zeitsprung: Der gealterte, durch seine Erlebnisse halb blinde und verkrüppelte Goldmund kehrt ins Kloster zurück und erzählt Narziss (Sabin Tambrea) sein Leben. Eine Rahmenhandlung, die den abwesenden Narziss als Zuhörer und Adressat dieser Lebensbeichte integriert.
Und noch ein Vorzug des Films: Die homosexuelle Komponente, die auch bei Hesse mehr als nur ein Subtext war, wird hier nicht prüde kaschiert. Wohingegen die vielen Sexszenen mit all den Frauen, die Goldmund auf seinem Lebensweg begegnen, eher recht züchtig erscheinen. Da mag man kaum glauben, dass Hesse 1930, nach Erscheinen des Romans, Pornografie vorgeworfen wurde.
Ruzowitzky versetzt das Geschehen in ein märchenhaftes Mittelalter. Mit Wehmut mag man da etwa an „Der Name der Rose“ denken. In „Narziss und Goldmund“ dagegen sind alle Menschen schön und strahlen mit perlweißen Zähnen und adretter Föhnfrisur.
Und das ist das größte Manko des Films: dass er nicht zu einer eigenen Kunst findet. Ruzowitzky, der für sein KZ-Drama „Die Fälscher“ 2008 den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film gewann, hat hier keine eigene, originäre Bildsprache entwickelt. Er ging an seine Adaption eher unbekümmert heran und trivialisiert den Roman zum kitschigen Abenteuer-und-Herzschmerz-Dramolett. Das ist schade.
„Narziss und Goldmund“ D 2020, 118 Min., ab 12 J., R: Stefan Ruzowitzky, D: Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, Emilia Schüle, Henriette Confurius, Uwe Ochsenknecht, Sunnyi Melles, Jessica Schwarz, im Astor, Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Elbe, Holi, Koralle, Passage, UCIs Mundsburg/Othmarschen Park/Wandsbek, Zeise; www.sonypictures.de/#narziss
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