„Hören Sie das Känguru nur, oder können Sie es auch sehen?“, fragt der Therapeut. Der hält die Erzählungen seines Klienten, eines verkrachten Kleinkünstlers namens Marc-Uwe, für typische Wahnvorstellungen. Denn ein Känguru in Deutschland, ein sprechendes zumal, mit kommunistischer Gesinnung obendrein und Vorliebe für Schnapspralinen, kann nur die irre Fantasie eines überspannten Großstädters sein.

Hören Sie es nur, oder können Sie es auch sehen: Das zeigt aber auch die Verwertungskette dieses Beuteltiers auf. Denn Marc-Uwe Kling, tatsächlich ein Kleinkünstler, hat seine Känguru-Sketche zunächst als Podcast beim Berliner Radiosender Fritz gesendet, bevor sie 2009 als Buch erschienen und zum Mega-Erfolg mit gleich drei Fortsetzungen mutierten. Und dann noch mal zu Hörbüchern wurden, gelesen, wie im Podcast, vom Autor selbst, der nicht nur den Kleinkünstler, also sich selbst, spricht, sondern auch, kieksend und lispelnd erhöht, dem Beuteltier seine Stimme leiht.

Wir hören es nicht nur, jetzt können wir es auch sehen: Diese Woche klopft das Känguru auch im Kino an die Tür, um sich dann gleich in der Wohnung des Nachbarn breitzumachen. Ein Dauerschmarotzer, der dem gutmütigen Marc-Uwe fortan nicht mehr von der Seite hüpft und in allerlei Dispute über die großen Dinge der Welt verstrickt. Dabei waren „Die Känguru-Chroniken“ eigentlich unverfilmbar. Wie soll das gehen: ein Känguru in einen Realfilm einbinden? Und geht damit nicht der größte Witz verloren, wenn man dieses Beuteltier sehen kann? Wo es doch nichts anderes ist als das Alter Ego des Autors, die innere Stimme im Ohr! Weshalb Marc-Uwe Kling eben beide spricht: die zwei Seelen, ach, in einem Beutel.

Dani Levy hat sich dennoch darangemacht, das Unverfilmbare zu verfilmen. Unermüdlich versucht der in Berlin lebende jüdische Schweizer, dem deutschen Film das zurückzugeben, was er sich in der Nazi-Zeit selbst ausgetrieben, ins Exil vertrieben oder gänzlich ausgemerzt hat: den Humor. Immer aufs Neue, seit seinem allerersten Film „Du mich auch“ lotet Levy hiesige Humorgrenzen aus. Hat dem deutschen Kino den jüdischen Witz zurückgeschenkt („Alles auf Zucker!“). Hat die leidige Frage, ob man über Adolf Hitler lachen kann, mit der grellen Satire „Mein Führer“ beantwortet. Nicht selten blieb einem dabei das Lachen im Halse stecken.

Da macht es tiefen Sinn, dass er sich dieser Chroniken annimmt, über die die Deutschen überraschend kollektiv lachen. Zusammen mit Kling hat er ein Drehbuch destilliert. Kling spricht auch wieder das Känguru. Den Kleinkünstler Marc-Uwe aber überlässt er doch Dimitrij Schaad, der beim Berliner Maxim Gorki Theater heimisch ist, aber auch schon in Detlev Bucks „Asphaltgorillas“ zu sehen war.

Das Känguru ist wirklich gut gelungen. Schlecht animierte Tiere in Realfilmen gibt es ja zuhauf. In dieser Hinsicht war Schlimmes zu befürchten. Die Computer-Effekte werden aber immer besser. Auf einer Skala zwischen Simba und Grizabella hat das Känguru eindeutig mehr Löwenanteil. Und dass es ein wenig ungelenk durch den Plot hüpft, gehört ja zur Dramaturgie. Wie ein Elefant im Porzellanladen zieht es eine wüste Spur anarchischer Destruktionslust.

Mit der episodischen Struktur der „Känguru-Chroniken“ hat das dennoch wenig zu tun. Diese werden vielmehr zugunsten einer konventionellen Handlung aufgegeben. Nicht nur der Kleinkünstler, der ganze Kreuzberger Kiez, in dem er wohnt, nimmt allzu bald das haarige Tier als seinesgleichen an. Womit ein Gutteil des Witzes schnell davongehoppelt ist.

Stattdessen stimmen Levy und Kling das alte Lied von der Multikulti-Hochburg Kreuzberg an. Wo halt auch Beuteltiere sofort aufgenommen und integriert werden. Was das heimelige Biotop stört, sind allerdings Neonazis und Bauspekulanten. Da wird der Film auf ganz andere Weise anarchisch und politisch. Schad’ nur, dass dabei alles in einen Topf gerührt wird.

Um ihr Multikulti-Paradies zu verteidigen, verbünden sich Marc-Uwe und das Känguru mit dem ganzen Kiez. Politisch steht man da ganz auf ihrer Seite. In seinen besten Momenten diskutiert der Film auch, was lustig und was Humor ist. In seinen schlechteren Momenten rutscht er selbst in die typisch deutsche Komödienroutine. Darauf eine Schnapspraline.

„Die Känguru-Chroniken“ D 2020, 93 Min., o. A., R: Dani Levy, D: Dimitrij Schaad, Henry Hübchen, Rosalie Thomass, im Abaton, Blankeneser, Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Holi, Koralle, Studio, UCIs Mundsburg/Othmarschen Park/Wandsbek, Zeise; www.x-verleih.de/filme/die-kaenguru-chroniken