Für die Arbeiter der Werft Blohm & Voss war es eine kleine Revolution: Ab 1924 wurden auf den Brücken der Schiffe Gelenkleuchten montiert, die man mit Hilfe eines Scherenwandarms zu sich heran holen und das Licht gezielt auf Karten oder Geräte lenken konnte. Auch Fabrik- und Werksarbeiter in ganz Deutschland, später in Österreich und der Schweiz, waren dank einer genialen Erfindung von Curt Fischer fortan nicht mehr auf das starre Allgemeinlicht von oben angewiesen, das ihren Schatten auf den Arbeitsplatz warf. 1919 setzte der Funkingenieur alles auf eine Karte und baute die geerbte thüringische Firma für Werkzeugteile in eine Lampenfabrik um. Sein erster Prototyp mit Gelenkarm, für den er das Patent anmeldete und dem zahlreiche Kopien anderer Firmen und Weiterentwicklungen bis hin zur LED-Leuchte folgten sollten, war die Midgard Nr. 113.

Diesem Mann und vielen weiteren Designern widmet das Museum für Kunst und Gewerbe aktuell die Ausstellung: „100 Jahre lenkbares Licht“. Anhand von Modellen von 1919 bis heute wird die Geschichte dieser technischen Sensation erzählt. Denn nicht nur am Arbeitsplatz ging den Menschen ein Licht auf. Auch zu Hause konnte man dank verstellbarer Leuchten lesend auf dem Sofa oder im Bett lümmeln, ohne sich die Augen zu verderben. Wohnzeitschriften und Design-Ausstellungen griffen den Trend begeistert auf; so gehörte zu einem modernen Schreibtisch unbedingt eine Midgard, Kaiser-Idell oder Kandem. Mit der Leipziger Firma produzierte Bauhaus-Gestalterin Marianne Brandt Tischlampen, die sich offensichtlich an Fischer-Modellen orientierten.

Als das Bauhaus 1926 von Weimar nach Dessau umzog, wurden auch hier Modelle aus dem Hause Midgard installiert (dass man auch unter lenkbarem Licht nach getaner Arbeit für einen Wettbewerb sehr gut einschlafen kann, beweist das Ausstellungsplakat, das zwei Zeichner nachts um zwei in der Bauabteilung zeigt).

Nach einer turbulenten Unternehmensgeschichte ist Midgard seit 2017 in Bahrenfeld ansässig. Sammler David Einsiedler, der auch viele Archivstücke zur Schau beigesteuert hat, leitet die Geschäfte zusammen mit Joke Rasch –, und man kann dort auch heute noch die Nr. 113, die Federzug- und Pendelleuchte im Baukastensystem bestellen.

100 Jahre lenkbares Licht bis 1.6., Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, dienstags bis sonnatgs 10 bis 18 Uhr, Eintritt 12, ermäßigt 8 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren frei