Hamburg.

Es beginnt im Alten Elbtunnel. Mitten in Hamburg. Der Tänzer Ashley Chen führt grazile Gesten mit seinem Körper aus. Auf hochkonzentrierte Weise scheint er mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Szenenwechsel. Ein Tanzensemble. Farbige, hautenge Kostüme. Ein flaches Dach irgendwo in Brooklyn, New York. Und auch hier einzigartige Bewegungen voller Eleganz, Geist, Experiment, Schönheit.

Mercier Philip „Merce“ Cunningham (1919–2009) war ein Meister des Flüchtigen. Der Choreograf gründete seine Merce­ Cunningham Dance Company 1953 und kreierte mit ihr mehr als 150 Choreografien, die die Tanzwelt und nachfolgende Generationen bis heute beeinflussen. Die angesagtesten Künstler der 1960er-Jahre, Andy Warhol, Jasper Johns und Robert Rauschenberg, schufen Bühnenbilder und Kostüme für ihn, auch musikalisch ging er mit den Werken seines Lebensgefährten John Cage neue Wege. „Ich beschreibe nicht, ich mache“, war sein Credo. Erklärungen verweigerte er.

Nun gibt es eine Dokumentation der russischen Regisseurin Alla Kovgan, schlicht „Cunningham“ betitelt, die vor allem der Magie seiner Anfänge, aber auch der Zeitlosigkeit seiner revolutionären Tanzstücke nachspürt. Und das gelingt grandios. Kovgan hat nicht nur erstaunliches Archivmaterial und rare Interviews mit der Tanzlegende aufgetrieben, ähnlich wie Wim Wenders seinerzeit in „Pina, setzt sie auf die Kraft der 3-D-Technik, um den Zauber flüchtiger Bewegung einzufangen.

Insgesamt 14 Tänze werden in Reenactments von zwölf internationalen Cunningham-Tänzern der letzten von ihm selbst ausgebildeten Generation in Szene gesetzt. Die traumwandlerische „Suite for Two“ zur Musik von John Cage ist darunter. Auch „Summerspace“, angelehnt an die Theorien Einsteins, mit seinen akkurat gestreckten Armen und Beinen, den geometrischen Raumfiguren vor einer pointilistischen Szenerie, die Robert Rauschenberg entwarf.

Die Zuschauer sehen die Mühen des Anfangs. Cunningham entwickelte eine Körpersprache, die vor allem auf Stärke in den Beinen bei gleichzeitiger Beweglichkeit des Torsos setzte. Weil er zu Beginn keine Tänzer fand, gründete er seine eigene Tanzschule. Die ersten Jahre waren hart. Die Kompanie litt an chronischem Geldmangel und tourte in einem VW-Bus. Die Menschen zeigten sich irritiert durch den revolutionären Stil. Eier und Tomaten flogen. 1964 dann der späte Durchbruch. Da war Cunninghams Tänzerfamilie jedoch bereits zerbrochen.

Die in Moskau geborene, in New York und St. Petersburg arbeitende Regisseurin Alla Kovgan ist eine erfahrende Dokumentarfilmerin. Sieben Jahre brauchte sie für „Cunningham“, drehte in Deutschland, Frankreich und den USA. Auch der Hamburger Produzent Helge Albers hat ihn ermöglicht. „Unsere Ekstase im Tanz kommt aus dem Geschenk der Freiheit – der vollkommenen Wahrnehmung der Welt und zur gleichen Zeit einer vollkommenen Loslösung von ihr“, hat Merce Cunningham gesagt. Schöner lässt sich die Verführungskraft des Tanzes für Tanzende und Zuschauer nicht umschreiben.

„Cunningham“ D/F/USA 2019, 89 Min., o. A., R: Alla Kovgan, im Abaton (OmU), Koralle Zeise; http://www.cunningham3d.de/