Detektive müssen cool, kantig und kerlig sein. Sie sind wortkarg, aber schlagfertig. Mit knappen Zynismen. Oder ihren Fäusten. Sie sind so was wie die Cowboys der Moderne, die nicht in die einsame Prärie reiten, sondern durch den Moloch Großstadt irren. In „Motherless Brooklyn“ bekommen wir es mit einem Detektiv zu tun, der von allem das Gegenteil ist. Dieser Beschatter ist vor allem nicht, was doch den Wesenszug dieses Berufsstandes ausmacht: Er ist nicht unauffällig.

Lionel Essrog, so heißt er, hat das Tourette-Syndrom. Das heißt, ihm rutschen in den unpassendsten Momenten unkontrollierte Worte, Satzanfänge oder auch unflätige Beschimpfungen heraus, die er in den besten Fällen als Nieser kaschieren kann.

In Film und Fernsehen ist das Tou­rette-Syndrom deutlich weiter verbreitet als in der Realität. Wohl, weil die Ticks ein besonderer Anreiz für Schauspieler auf der Suche nach besonderen Herausforderungen sind.

Der New Yorker Schriftsteller Jonathan Lethem hat das Tourette-Syndrom dagegen 2005 auch im Thriller „Motherless Brooklyn“ behandelt, den Filmstar Edward Norton nun fürs Kino adaptiert hat und dabei nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern auch gleich noch die Regie übernommen hat. Gleich anfangs sitzt er mit einem seiner Buddys in einem Wagen auf der Lauer, um ihren Chef Frank Minna (Bruce Willis) zu beschützen.

Der hat ihn und seine Freunde einst als Kinder aus dem Waisenhaus geholt, jetzt arbeiten sie für ihn und halten ihm den Rücken frei bei seinen dubiosen Geschäften. Und doch hat Lionel Essrog (Norton) immerzu diese Ausfälle und lenkt seinen schwerfälligen Partner ab. Der Deal geht komplett schief, Minna wird vor ihren Augen umgebracht. Und fortan setzt Essrog alles daran, die Mörder seines Mentors zu stellen.

Der Reiz an Lethems Vorlage bestand darin, dass der Protagonist in Ich-Form von seinen Ticks erzählte, dies aber mit einer hochartistischen Sprache. Das Sprachkunstwerk eines Sprachgestörten, wie nicht nur ein Rezensent damals schwärmte. Norton übernimmt das in seinem Film, indem auch er aus dem Off in bündiger Sprache spricht, während er sich vor der Kamera immer wieder in seinen Silben verheddert. Norton wollte schon lange einen 50er-Jahre-Film-Noir drehen, mit zerknautschten Detektiven, wilden Kaschemmen und dampfenden Hinterhöfen. Deshalb hat er „Motherless Brooklyn“ in die 50er-Jahre verlegt, auch wenn der Roman in den 70ern spielt.

Norton will beweisen, dass er alles kann: Regie, Drehbuch, Hauptrolle

Das ist schade. Denn der Detektiv kommt in seinen Ermittlungen einem Filz aus Korruption und Verbrechen bis in höchste politische Kreise auf die Spur, bei dem ein Stadtrat namens Moses Randolph (Alec Baldwin) ganz Brooklyn nach selbstherrlichem Dünkel umkrempelt. Die Figur ist dem echten berüchtigten Stadtplaner Robert Moses nachempfunden, der New York prägte wie kein Zweiter. Der ganze Stadtviertel abreißen ließ, um für Neubauten Platz zu schaffen. Und dabei durchaus auch rassistisch vorging: Ärmere, vornehmlich schwarze Mitbewohner wurden verdrängt oder gar in die Obdachlosigkeit getrieben. Diese politische Note des Romans geht bei der Zeitversetzung im Film leider etwas unter. Stattdessen setzt Norton ganz auf Neo-Noir, lässt akri­bisch die 50er-Jahre wieder aufleben, nicht nur visuell, auch musikalisch, durch die vielen Szenen, die in Jazzkellern spielen.

Nortons Karriere begann 1996 schlagartig mit seinem ersten Film „Zwielicht“, wo er einen geistesverwirrten Mörder spielte. Der Neuling hatte damals Stars wie Leonardo DiCaprio und Matt Damon aus dem Stand ausgestochen. Und sich mit Filmen wie „Fight Club“, vor allem aber dem Neonazi-Drama „American X“ als eines der vielversprechendsten Talente seiner Generation empfohlen. Jetzt scheint er mit seinem zweiten Regiefilm beweisen zu wollen, dass er alles kann: Regie, Drehbuch, Produktion und Hauptrolle. Dabei hat er sich allerdings etwas zu viel vorgenommen. Mit „Motherless Brooklyn“ ist ihm durchaus ein atmosphärisch dichter Film gelungen. Aber letztlich gefällt sich Norton doch viel zu sehr im Beschwören und Zitieren dieser vergangenen Ära. Und stellt seine Figur zu sehr in den Mittelpunkt, sodass alle anderen, auch Co-Stars wie Alec Baldwin und Willem Dafoe, zu Nebenfiguren verkommen.

„Motherless Brooklyn“ USA 2019, 145 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Edward Norton, Darsteller: Edward Norton, Bruce Willis, Alec Baldwin, Gugu Mbatha­-Raw, Willem Dafoe, im Elbe, Savoy (OF), UCI Mundsburg