Ein Film über Sozialarbeit, der einerseits berührt und andererseits gute Laune macht, hat sein Etikett schnell weg: Feelgood-Movie! Damit aber ist „Alles außer gewöhnlich“, der neue Film von Oliver Nackache und Éric Toeldano, den Machern des Mega-Erfolgs „Ziemlich beste Freunde“, nicht annähernd erfasst. Nicht nur dass das Gefühl des Zuschauers am Ende so viel besser ist als „good“, der Film als solches hat eine Tiefe und Wahrhaftigkeit, die weit über das Genre hinausweist.

Im Zentrum der Handlung steht Bruno (Vincent Cassel), der seine ganze Energie darauf verwendet, psychisch kranken Menschen zu helfen, die sonst nirgendwo mehr unterkommen: schwerstaggressive Jugendliche mit Asperger-Syndrom, mit deren Betreuung jedes familiäre Umfeld völlig überfordert ist, und Erwachsene mit Ticks und Anfällen, die in keiner Institution mehr unterkommen.

Der Film folgt Brunos täglicher Arbeit, beobachtet, wie der Pariser unermüdlich Unterstützer und Mitarbeiter um sich schart und motiviert, während er verzweifelten Müttern am Telefon Hilfe für ihre Sorgenkinder verspricht. Seiner Organisation fehlt es aber nicht nur an Platz und Geld, sondern auch an einer offiziellen Genehmigung.

Die Untersuchung durch die zuständige Sozialbehörde bildet einen weiteren roten Faden des Films: Zwei Inspektoren lassen sich die Arbeit von Bruno und seinem improvisierten Verein erklären, während immer wieder Not am Mann ist. Bruno arbeitet eng mit der Organisation von Malik (Reda Kateb) zusammen, der Jugendliche von der Straße holt und sie beim Schulabschluss unterstützt. Seine Jugendlichen arbeiten als Betreuer für Brunos schwere Fälle – eine Kombination, die sehr fruchtbar sein kann, aber nicht ohne Risiken ist, wie der Film zeigt.

Wer noch dachte, der Mega-Erfolg „Ziemlich beste Freunde“ sei dem Besetzungscoup zu verdanken, der das forsche Charisma von Neuentdeckung Omar Sy auf die reife Melancholie von François Cluzet treffen ließ, wird hier eines Besseren belehrt: Nakache und Toledano offenbaren ein besonderes Talent dafür, Unvereinbares zusammenzubringen. Hier sind es die leidenden Protagonisten – zum Teil von Laien und Betroffenen dargestellt – und der rebellenhafte Helden-Glamour, der Darsteller wie Vincent Cassel und Reda Kateb umgibt.

Der Film gewinnt aus dem Gegensatz eine spannungsvolle Harmonie, bei der weder die Schauspieler sich verbiegen, um normal zu wirken, noch die Laien für den emotionalen Effekt ausgebeutet oder ausgestellt werden. Stattdessen fühlt sich alles realistisch an und ist doch ungeheuer kurzweilig und unterhaltsam verpackt.

Einerseits liegt das an den vielen Details, mit denen das Regieduo die Erzählung unterfüttert – die im Übrigen auf realen Ereignissen und Figuren fußt. Völlig nebenbei etwa zeigt der Film, wie einträchtig die verschiedenen religiösen Gemeinschaften zusammenarbeiten – Bruno ist gläubiger Jude, unter seinen Angestellten und Förderern sind sowohl Muslime als auch Juden und Katholiken.

Seinen mitreißenden Humor erreicht der Film durch Understatement und trockenen Witz, der meisterhaft sparsam dosiert wird. Da gibt es den Running Gag um den Autisten Joseph, der seinem inneren Zwang, in der Metro die Notbremse zu ziehen, nicht widerstehen kann – für den die Regisseure klugerweise kein triumphales Ende erfinden.

Das macht den optimistisch ausgerichteten Realismus des Films aus: Er täuscht nicht über die Schwere der Betreuungsarbeit hinweg, sondern zeigt sie als nie endendes Provisorium, bei der sich nur Etappenerfolge feiern lassen, nie ein Happy End. „Wir sind fast da“: Dieser Satz bildet zusammen mit „Wir werden eine Lösung finden“ Brunos Leitmotiv. Er taugt zum Credo für jedes gesellschaft­liche Engagement.

„Alles außer gewöhnlich“ F 2019, 114 Min., ab 6 J., R: Eric Toledano/Olivier Nakache, D: Vincent Cassel, Reda Kateb, täglich im Abaton (auch OmU), Koralle-Kino, Passage, UCI Mundsburg, Zeise (auch OmU); www.alles-ausser-gewoehnlich-derfilm.de