Eine Frau paddelt mutterseelenallein im Kajak auf eisigem Meer. Das ist quasi das Paradies für diese recht neurotische Dame, die unter sozialer Kälte leidet, Mitmenschen nur schwer erträgt und sich am liebsten ganz zurückzieht. Die Antarktis scheint da gerade weit genug. Erst hier taut sie auf. Ein extremer Ort für einen seelischen Extremzustand. Aber es ist ein weiter Weg bis dahin, wie Richard Linklaters Film „Bernadette“ zeigt.

Die Titelheldin, grandios verkörpert von Cate Blanchett, versauert da in der US-amerikanischen Provinz mit ihrer sterilen Vorgartenidylle. Ihre Alltagsverrichtungen klärt sie per Voice-Rekorder mit einer Agentur in Indien. Gegen ihre Schlaflosigkeit hortet sie verschreibungspflichtige Pillen, die sie aber, weil es so schön bunt aussieht, alle in einem Glas aufbewahrt. Ansonsten verschanzt sie sich hinter ihrer Sonnenbrille und auf dem riesigen Anwesen. Sie fährt einer Nachbarin mit dem Auto über den Fuß, um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden. Kein Zweifel: Gegen diese Frau wirken die Stadtneurotiker von Woody Allen ziemlich langweilig normal.

Bernadette wirkt wie eine moderne, weibliche und noch etwas übersteigerte Form von Molières „Menschenfeind“. Sie lebt allerdings auch nicht in Allens intellektuellem, kreativem New York, sondern im spießig verschlafenen Seattle. Dorthin hat es sie in einer Mischung aus innerem Exil und Bußgang verschlagen. Weil die Architektin einst wie ein Popstar gefeiert wurde mit kühnen und ökologisch verträglichen Bau-Entwürfen. Bis dann ihr absoluter Meisterbau von einem reichen Wirtschaftsmagnaten aufgekauft wurde – nur um ihn plattzumachen für einen Parkplatz. Deshalb hat sie sich ganz auf ihre Familie und ein eigenes Haus zurückgezogen. Ist mit ihrem Mann Elgie (Billy Crudup) nach Seattle gezogen, wo dieser Technik-Visionen für den Konzernriesen Microsoft entwickelt. Dort leidet Bernadette darunter, nicht mehr kreativ zu sein. Und liebt einzig ihre Tochter Bee (Emma Nelson), die ihr, nach vier Fehlgeburten, mit einem Herzfehler geboren wurde, weshalb sie sich umso aufopferungsvoller um sie kümmert. Der Teenie ist auch ihr einziger Draht zur Welt, während ihr der Gatte bei all ihren Neurosen immer fremder wird.

Als Elgie sie auch noch, angestachelt von seinem Umfeld, für eine Therapie in eine Anstalt schicken möchte, büxt Bernadette einfach aus. Und es ist ihre Tochter, die sich auf die Suche nach ihr macht. Und ihren Vater zwingt, ihr dabei zu helfen.

Der Film, der im Original „Where’d You Go, Bernadette?“ (Wo bist du hin, Bernadette?) heißt, ist die Verfilmung eines Briefromans von Maria Semple, der sich aus E-Mails zusammensetzt. Eine filmische Adaption muss da vergleichsweise konventionell erscheinen, auch wenn die einzelnen Szenen noch so überdreht inszeniert und ausgespielt werden. Richard Linklater, der mit seinen „Before Sunrise“-Filmen Kultstatus gewann, versucht hier zudem eine schwierige Gratwanderung zwischen Arthouse-Satire und Wohlfühlkino, die nicht immer aufgeht.

Auch die Kritik am spießigen American Way of Life bleibt allzu dezent. Am Ende müsste die von Scheinwehwehchen geplagte Titelfigur eigentlich auch noch Diabetes bekommen, so zuckrig wird das Ganze. Und doch ist dieser Film sehenswert: allein wegen der umwerfenden Cate Blanchett, der es gelingt, dass diese Misanthropin mit all ihren Macken dennoch sympathischer und lebendiger wirkt als all die Normalos um sie herum.

„Bernadette“ USA 2019, 111 Min., ab 6 J., R: Richard Linklater, D: Cate Blanchett, Kristen Wiig, Emma Nelson, Billy Crudup, im Elbe, Koralle, Passage, Studio (auch OmU); www.universumfilm.de/filme