Liebesdramen sind eine sichere Bank im Kinogeschäft, solange sie das Leichte dem Abgründigen vorziehen und eher in Gefühlen schwelgen, als sie zu analysieren. Spitzenreiter dieser Disziplin sind die Verfilmungen der Romane von Nicholas Sparks, die man bereits von Weitem an ihren Plakaten erkennt. Da üben sich, die Blicke züchtig gesenkt, ein Mann und eine Frau vor Naturkulisse im Körperkontakt. Über ihnen stehen Titel wie „Das Leuchten der Stille“ oder „Mein Weg zu dir“.

„Gut gegen Nordwind“ passt in diese Reihe, stammt aber vom Österreicher Daniel Glattauer, dessen Roman in 28 Sprachen übersetzt wurde. Nun wurde auch er endlich verfilmt, auf Deutsch, mit viel inniger Musik und Feuerwerk über einer Stadt mit dem Autokennzeichen „T“. Die gibt es zwar nicht, aber sie würde auch als US-Metropole durchgehen. Auf dem Plakat finden sich ein Mann und eine Frau, die entrückt vor sich hin lächeln, ohne sich zu berühren.

Zwischen ihnen prangt der Filmtitel in roten Lettern. Das hat Gründe. Die nicht so richtig glücklich verheiratete Emmi Rothner (Nora Tschirner) und der nicht so richtig beziehungsfähige Linguistikdozent Leo Leike (Alexander Fehling) lernen sich im Internet durch eine in die Irre gegangene E-Mail kennen. Sie schreiben sich, bald täglich. Vorsichtshalber formulieren sie ein digitales Zölibat. Niemals wollen sie den Namen des anderen googeln. Auch der Austausch von Fotos ist tabu. So verlieben sie sich in die Worte, in die eigene Vorstellung des anderen. Und wenn dann mal Neugier und Hoffnung über Nummer sicher siegen, spielt das Schicksal verrückt und lässt sie wieder nicht zusammenkommen. Die größte Liebe ist bekanntlich die unerfüllte.

Regisseurin Vanessa Jopp hat in den letzten 20 Jahren hinreißende („Vergiss Amerika“) und missratene Filme („Der fast perfekte Mann“) über verzwickte Paarbeziehungen vorgelegt. Hier wirft sie vor allem einen empathischen, genauen Blick auf den Alltag zweier Erwachsener, die sich in der sogenannten Blüte des Lebens fragen, ob sie an ihren tiefsten Bedürfnissen vorbeigelebt haben. Leo versucht seine im Absprung befindliche Partnerin Marlene (Claudia Eisinger) mit einem Heiratsantrag bei sich zu behalten, als wäre sie ein nicht mehr bekömmliches Essen, das aber immerhin satt macht. Emmi bildet „ein gutes Team“ mit ihrem Mann Bernhard (Ulrich Thomsen), einem erfolgreichen Dirigenten, und dessen Kindern. Ihre Liebe zur Musik pflegt sie als Klavierlehrerin und Konzertgängerin. Ein Trauerspiel ist das alles nicht, aber das Feuer fehlt.

„Gut gegen Nordwind“ erwacht erst nach einer Weile zum Leben, dann nämlich, wenn Tschirners Emmi auch physisch auftaucht und mit ihrer patentierten semi-verpeilten Schnoddrigkeit Fehlings Leo aus der Lethargie weckt. Interessanterweise feiert der Film dabei die Internet-Kommunikation als „Insel“, auf der man „die ehrlichste Version seiner selbst sein könne“, also als das Gegenteil von Fake­ News, Shitstorms und Datenraub.

Dass das große Drama, die große Leidenschaft maximal über Bande ausgeführt wird, macht indes den reizvollen Kern dieses Films aus, dem man sich vertrauensvoll ausliefern kann wie einer Wellnessbehandlung. Weil Jopp, im Gegensatz zur Romanvorlage, gerade am Ende auf Reduktion setzt, wäre es nur konsequent, wenn Glattauers Fortsetzung „Alle sieben Wellen“ unverfilmt bliebe. Der Binsenweisheit zum Trotz, dass auf einen erfolgreichen ersten Teil der Markt nach einem zweiten schreit.

Diese Emmi und diesen Leo möchte man doch lieber so in Erinnerung behalten, statt ihnen in ein, zwei Jahren auf einem Kinoplakat eng umschlungen wieder zu begegnen.

Gut gegen Nordwind“ D 2019, 122 Minuten, ohne Altersbeschränkung, Regie: Vanessa Jopp, Darsteller: Nora Tschirner, Alexander­ Fehling, Ella Rumpf, Claudia Eisinger, Ulrich Thomsen, täglich im Astor, Blankeneser, Cinemaxx Dammtor/Harburg/Wandsbek, Passage, UCIs Mundsburg/Othmarschen Park/Wandsbek, Zeise